Anja Höfner: Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam denken

Oft wird die Digitalisierung damit beworben, Ressourcen zu schonen. Doch das stimmt nur sehr bedingt. Nachhaltigkeitsexpertin Anja Höfner vom Konzeptwerk Neue Ökonomie möchte mehr Bewusstsein für den digitalen ökologischen Fußabdruck – und hat auch deswegen die Konferenz Bits & Bäume mit ins Leben gerufen.

Foto von Anja Höfner

Eigentlich ist die Sache ja klar: Wer auf dem Smartphone Filme streamt oder eBooks liest, verbraucht weniger Ressourcen als ein Mensch, der ins Kino geht oder Bücher kauft, verhält sich also nachhaltiger. Oder? Anja Höfner schüttelt den Kopf. „Ganz so einfach ist es leider nicht.“

Anja ist Fachfrau für nachhaltiges Wirtschaften – als Mitarbeiterin beim  Konzeptwerk Neue Ökonomie ist sie auf das Thema Digitalisierung spezialisiert. Und das führt dazu, dass sie bei Workshops und Veranstaltungen so manchen Mythos zerstört. Etwa den von der großen Nachhaltigkeit, die vermeintlich durch die Digitalisierung entsteht.

Es stimme zwar, dass durch den Einsatz digitaler Technik manche Ressourcen geschont würden, sagt sie. „Aber die Geräte haben einen hohen Energieverbrauch. Für die Herstellung von Smartphones werden Rohstoffe wie Eisen, Kupfer, Nickel oder Zink benötigt. Die werden unter zum Teil sehr problematischen Bedingungen gefördert, die mit Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen einhergehen.“ Und weil viele der Geräte so ausgelegt seien, dass sie irgendwann nicht mehr genutzt werden können, nur weil es keine Software-Updates mehr gibt, würden sie über kurz oder lang zu „einer riesigen Menge Elektroschrott“. Es gebe Studien, die ausgerechnet hätten, „dass Rechenzentren etwa die gleiche Menge an Co2-Emissionen haben wie der gesamte Flugverkehr“. Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Die Dinge müssen sichtbarer werden

Also ist die Digitalisierung ökologisches Teufelszeug? Auch dieses Extrem ist Anja fremd: Es gebe einfach nicht „die“ Digitalisierung, denn deren Auswirkungen seien extrem verschieden. „Es geht nicht darum, eine Technik oder Entwicklung zu verdammen. Wichtig ist, sich darüber im Klaren zu sein, dass digitale Geräte und ihre Nutzung einen ziemlich großen ökologischen Fußabdruck haben. Und dass die Logik, nach der viele Geräte funktionieren, einem dahinterstehenden Interesse von Menschen oder Unternehmen entsprechen, die damit Geld verdienen wollen.“ 

Dafür brauche es ein Bewusstsein – und die Erkenntnis, „dass das weder unabänderlich noch unumkehrbar ist. Wir brauchen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll, nach welchen Standards ein Prozess wie die Digitalisierung ablaufen soll und wie wie sie kontrollieren können“. Dafür brauche es viel mehr Sichtbarmachung als bisher. „Wir haben es heute  oft nur scheinbar mit einer Entkopplung von Prozessen und Ressourcenverbrauch zu tun. Auch wenn ich alle meine Daten in der Cloud habe, müssen auch für diese virtuellen Ordner Ressourcen aufgewendet werden.“

Textgrafik. Inhalt: 
"Drei Fragen an Anja Höfner  Was ist deine aktuelle Lieblings-App?
Der Messengerdienst Signal.  Auf welche Begleiterscheinungen der Digitalisierung könntest du am ehesten verzichten?
Auf die Ohnmachtsgefühle angesichts der Macht von Konzernen wie Microsoft oder Google. Es braucht viel mehr Selbstbestimmung bei der Nutzung digitaler Techniken.  Angenommen, du wärest für einen Tag Digitalministerin: 
Was wäre deine erste Amtshandlung?
Ich würde alle elf Forderungen umsetzen, die wir auf der „Bits und Bäume“-Konferenz erhoben haben, von Datenschutz bis Langlebigkeit von Software und Geräten."

Viele Strukturen laufen parallel

Und dann gibt es da noch ein zweites Problem, das zu wenig wahrgenommen werde. „An vielen Stellen existieren die Dinge ja gleichzeitig. Nur weil ich eBooks lese, heißt das ja nicht, dass ich nicht hin und wieder materielle Bücher kaufe. Wer streamt, geht vielleicht auch ins Kino. Und Untersuchungen haben gezeigt, dass das Vorhandensein von Carsharing-Angeboten nicht dazu führt, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind: Im Gegenteil, so fahren unter Umständen auch Menschen, die kein eigenes Auto besitzen, weil es billiger und bequemer ist, sich nach einem Abend mit Freund:innen ein Auto für den Heimweg zu teilen, als mit der S-Bahn zu fahren.“ An vielen Stellen sei die neue digitale Infrastruktur einfach an die Seite der alten, analogen getreten – mit dem Ergebnis, dass Ressourcen nicht eingespart, sondern eher stärker genutzt würden.

Doch widerspricht das nicht all dem, was Unternehmen und Konzerne uns versprechen? Die Idee der Digitalisierung geht oft mit der Vision einher, wenigstens hier könne ohne Verzicht konsumiert werden. „Das ist eine Frage, die diskutiert werden muss; die Abwägung, was auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen angemessen ist. Wir brauchen Utopien, wie unsere Welt in 30 Jahren aussehen soll und wie es gelingen kann, sie sozial und ökologisch gerecht zu gestalten.“

Nachhaltigkeit wird zum Thema für alle

Um diese Diskussion zu führen, ist es nötig, Welten zueinander zu bringen, die sonst eher wenig miteinander zu tun haben. Anja hat das getan, als sie 2018 mit Mitstreiter:innen die Bits & Bäume-Konferenz organisiert und dort Menschen aus Techie-Szene und Umweltbewegung ins Gespräch gebracht hat. Die beiden Communities trenne vieles, sagt die 31-Jährige, aber es gebe auch große Schnittmengen. „In beiden Gruppen gibt es ein großes Bedürfnis danach, selbstbestimmt zu agieren, herkömmliche Muster in Frage zu stellen und basisdemokratisch selbst aktiv zu werden.“

Während es in der Umweltbewegung ein großes Bestreben gebe, sich digitale Techniken zu eigen zu machen, wachse bei den Techies die Erkenntnis, dass nachhaltige Geschäftsmodelle einerseits ein ökonomisch attraktiver Trend seien und sich die „Robustheit von Systemen“ für Entwickler außerdem lohne, weil sie so nachhaltiger und stabiler arbeiten könnten. Dass es inzwischen etwa ein Zertifikat wie den „Blauen Engel“ für umweltschonende Software gebe, zeige, dass die Bedrohungen der Klimakrise inzwischen mehr wahrgenommen werde.

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