Die Idee für „Kleiner Fünf“ entstand im Bundestagswahljahr 2017. Schon im Vorfeld der Wahlen deutete sich an, dass die rechtspopulistische Partei AfD mehr und mehr Unterstützer:innen für sich gewinnen konnte. Paulina erinnert sich: „Die Prognosen machten mir Angst. Doch noch mehr Angst machten mir die Alltagsgespräche. Ob der Nachbar im Hausflur oder die Kassiererin im Supermarkt – mir wurde klar, wie schnell Menschen rechtspopulistische Meinungen übernehmen und unreflektiert weitertragen.“ Alles nach dem Motto: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Darf man nicht, wenn es gegen unser demokratisches Wertesystem geht, findet Paulina. Jedoch fand sie sich selbst in Situationen wieder, die sie regelrecht sprachlos machten. „Es ist so schwer, wenn es jemand aus dem Familien- oder Bekanntenkreis ist, der demokratiefeindliche Äußerungen bringt“, gibt sie zu.
Wie geht man dann damit um? Wie erreicht man Menschen, die verunsichert rechtspopulistische Floskeln übernehmen? Und wie vermeidet man, dass unzufriedene Erstwähler:innen der AfD ihre Stimme schenken? Diese und ähnliche Fragen diskutierte Paulina bei einem Wochenende mit Freunden und Bekannten. Ihnen war klar: Sie wollten etwas tun. Der Freundeskreis gründeten den Verein „Tadel verpflichtet e.V.“, mit ihm als Träger konnte die Initiative „Kleiner Fünf“ starten. Das ursprüngliche Ziel: verhindern, dass die AfD die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Deutschen Bundestag erreichte. „Eine AfD wollte von uns dort einfach keiner sehen.“ Doch auch über den Einzug der Partei in den Bundestag hinaus blieb „Kleiner Fünf“ aktiv, will informieren, aufklären und zum politischen Diskurs einladen. Heute ist die Initiative deutschlandweit etabliert und hat eine große Reichweite.
Ich wünsche mir von Seiten der Politik einen engen Dialog mit der Zivilgesellschaft, gerade wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Es ist wichtig, dass klare Ziele formuliert werden, um den Ausbau digitaler Strukturen voranzutreiben.
Engagement dank Digitalisierung
Da die Gründungsmitglieder von „Kleiner Fünf“ quer in Deutschland verteilt leben, geschah von Anfang an vieles über das Internet: „Ohne digitale Mittel würde es unsere Initiative, wie auch viele andere, nicht geben“, so Paulina zur Relevanz der Digitalisierung für Initiativen wie die ihre. „Wir Gründungsmitglieder haben uns über das Internet kennengelernt und vernetzt. Von Anfang an nutzten wir Apps wie Slack oder Google Drive, um uns auszutauschen, zu organisieren und unsere Arbeit effizient zu gestalten.“ Und auch die Zielgruppe wird am besten durch eine Kombination an Online- und Offline-Formaten erreicht. „Die Startschussfinanzierung der Bewegungsstiftung – insgesamt 15.000 Euro – haben wir darum erstmal komplett für den Aufbau unserer Homepage genutzt.“
Gemeinsam mit ihrem Team erarbeitete Paulina dann Argumentationsleitfäden, die die Nutzer:innen auf der Website downloaden können. Sie sollen helfen, Positionen rechtspopulistischer Parteien inhaltlich und rhetorisch mit „radikaler Höflichkeit“ – freundlich und bestimmt – entgegenzutreten und diese zu entkräften. Paulina betont, dass es nicht darum gehe, jemanden zu belehren, sondern darum, in einen respektvollen, offenen Austausch zu kommen. „Wir möchten Menschen befähigen, rechtspopulistische Meinungen in Alltagssituationen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren“. Dies geschehe mit rhetorischen Tipps, Hintergrundinformationen und Leitfäden für gute Antworten auf rechtspopulistische Parolen.
Dem Alltagsrassismus entgegentreten
Neben der Website spielen Social Media-Kanäle wie Instagram, Twitter und Facebook für die Initiative eine herausragende Rolle. Hier startete „Kleiner Fünf“ im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl 2019 die Ring-Kampagne, die in den sozialen Medien besonders hohe Wellen schlug. Interessierte bekamen einen Fingerring zugeschickt, konnten dann Freunden, Familien und Bekannten einen „Wahlantrag“ stellen. „Die Frage, ob man gemeinsam zur Wahl geht, bietet einen guten Gesprächseinstieg, motiviert aber natürlich auch, den Weg zur Wahlurne tatsächlich zu gehen. So wollen wir die Wahlbeteiligung bundesweit steigern und zum politischen Diskurs anregen“, erklärt Paulina. Und auch im Superwahljahr 2021 macht sich die Initiative mit der Kampagne #sprichesan für eine gerechte und solidarische Gesellschaft stark.
Doch die Initiative stößt auch auf Gegenwind. Gerade wenn es um politische Themen geht, sind Beleidigungen und Hass im Netz nicht weit. „Zum Glück hilft uns die Digitalisierung im Kampf gegen Rechts mittlerweile auch da weiter“, zeigt sich Fröhlich optimistisch. So gäbe es Online-Anlaufstellen wie „No Hate Speech“, wo diskriminierende und rassistische Äußerungen im Netz von Nutzer:innen gemeldet und dann strafrechtlich verfolgt werden.
Plattform zur Stärkung der Demokratie
Paulina ist der Meinung, dass man die Chancen der Digitalisierung für die Zivilgesellschaft Europas nutzen müsse, denn „es gibt viele tolle technische Tools, die das gemeinsame Wirken an einer Sache vereinfachen“. Und auch sie will ihre Arbeit zur Stärkung der Demokratie in Deutschland und Europa fortführen. Seit September 2019 leitet Paulina den Programmbereich „Zukunft der Demokratie“ im Progressiven Zentrum in Berlin, initiierte dort das innovative Dialogformat „Europa hört – eine Dialogreise“ sowie Projekte zum souveränen Umgang mit demokratiefeindlichem Populismus im öffentlichen Raum. „Es geht mir darum, Ideen zu entwickeln, die die ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Transformation gerecht gestalten und diese dann in die öffentliche Debatte zu bringen.“
Und Ideen hat sie. Seit 2019 arbeiteten Paulina und ihr Team daran, eine Plattform aufzubauen, die Akteur:innen der Zivilgesellschaft europaweit miteinander verbindet. Am 1. März 2021 ist die Plattform „European Hub for Civic Engagement“ in die Testphase gestartet. Mehr als 700 Unterstützer:innen sind mittlerweile Teil des Netzwerkes, Tendenz steigend. „Indem wir die digitale Infrastruktur für Aktivist:innen und Akteur:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen bereitstellen, stärken wir die Demokratie in Europa“, so Paulina zum Projekt.
Zukunft verändern
Dass Digitalisierung unser aller Zukunft verändern wird, davon ist Paulina überzeugt. Sie sieht darin nicht nur im politischen Bereich Potential: „Schließlich kann die Digitalisierung auch bürokratische Vorgänge vereinfachen“. Für die entsprechenden Ämter als auch für die Menschen, die ein Anliegen an diese herantragen, könne dies eine Erleichterung bedeuten und helfen, Stress zu vermeiden. „Und besonders im medizinischen Bereich profitieren wir ja schon heute stark von digitalen Lösungen.“
Probleme, die sich einem digitalen Wandel in den Weg stellen, sieht Paulina weniger in der Zivilgesellschaft als in der Verwaltung. „Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass wir Menschen sehr flexibel und anpassungsfähig sind.“ Schüler:innen erhielten ihre Homeschooling-Aufgaben über Schulportale, Arbeitgeber:innen organisieren ihre Angestellten im Home Office mit Hilfe digitaler Werkzeuge. „Nur in der Verwaltung hakt es“, stellt Paulina immer wieder fest. Sie wünscht sich, dass auch hier in die Digitalisierungsfähigkeit investiert wird, dass man mutiger ist, digitale Lösungen zu suchen und diese konsequent umzusetzen. Und: Es sei es wichtig, dass Bürger:innen zu digitalen Prozessen informiert sind, dass hinsichtlich der Digitalisierung eine Transparenz herrscht und alle mitgenommen werden.
Viele Menschen, so Paulina, fühlen sich nämlich unterinformiert. „Ich wünsche mir von Seiten der Politik einen engen Dialog mit der Zivilgesellschaft, gerade wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Es ist wichtig, dass klare Ziele formuliert werden, um den Ausbau digitaler Strukturen voranzutreiben. Ich wünsche mir, dass transparent gemacht wird, wo es derzeit noch Schwachstellen gibt und dass aktiv an der Problemlösung gearbeitet wird – gemeinsam.“
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.