Digital mit Plan: Wieso Digitalstrategien so wichtig sind

Etwas muss sich ändern. Die Anzahl der E-Mails, in die man von den Kolleg:innen ins CC gesetzt wird, ist nicht mehr zu bewältigen. Die Organisation von Meetings und Veranstaltungen frisst viel zu viel Zeit, im Verwaltungschaos gehen Aufgaben beinahe unter. Nicht nur intern wachsen die Herausforderungen für das Team. Auch die Zielgruppe hat sich verändert. Wege, die Angebote sinnvoll mit digitalen Möglichkeiten zu verknüpfen, müssen unbedingt gefunden werden.

Ein Raum mit viel Workshopzubehör ist im Hintergrund verschwpmmen zu erkennen. Im Vordergrund scharf schaut man einer Person über die Schulter, die das Handout des Workshops in der Hand hält, auf dem bunte Kreise mit den Elementen der digitalen Transformation zu erkennen sind.

So geht es vielen Akteuren im zivilgesellschaftlichen Bereich. Die Welt beschleunigt sich, Arbeitsweisen, Tools, die Bedürfnisse der Zielgruppen und der Ehrenamtlichen ändern sich. Zeit und Geld, die Veränderungen systematisch zu reflektieren und den (digitalen) Wandel zu
gestalten, fehlen. „Im Gegensatz zu Unternehmen können sich zivilgesellschaftliche Organisationen externe Beratung, IT-Dienstleistungen, Tools oder Hardware oft nicht oder nur in geringem Umfang leisten. Gerade weil Non-Profit-Organisationen viel selber machen müssen, ist es für sie besonders wichtig, sich gezielt und strategisch weiterzuentwickeln und die Digitalisierung umzusetzen“, sagt Susanne Saliger, die das Projekt Die Verantwortlichen #Digital leitet.

Das Programm ermöglicht zivilgesellschaftlichen Organisationen, den Kopf aus der Projektarbeit herauszustrecken und mit professioneller Beratung an ihrer Seite, einem Umsetzungsbudget, einem Weiterbildungsbudget und im Austausch mit anderen Akteuren eine Digitalstrategie zu entwickeln.

Was ist eine Digitalstrategie? 

Was genau eine Digitalstrategie ist, da muss Susanne Saliger schmunzeln. Wie so oft gibt es keine eindeutige Definition, unterschiedliche Auffassungen und Begriffe. Mitunter wird auch von einer Digitalen Strategie oder einer Digitalisierungsstrategie gesprochen. Für das Projekt hat man sich auf diese Arbeitsdefinition verständigt:

„Eine Digitalstrategie ist eine strategische Entwicklung von Organisationen, um den digitalen Wandel aktiv zu gestalten und zu entscheiden, mit welchen digitalen Anwendungen die Organisationsziele besser erreicht werden können.“

Sie hilft, „informierte Entscheidungen zu treffen, nicht blind jedem Trend hinterherzulaufen, sondern sinnvolle digitale Maßnahmen zu ergreifen, die weit tragen“, ergänzt Stephanie Frost, eine der Gründerinnen der Engagement-Plattform vostel.de und Beraterin im Projekt Die Verantwortlichen #Digital. Im Zentrum einer Digitalstrategie steht die Frage: Wer braucht was? Aus den jeweiligen Antworten ergeben sich die digitalen Lösungen. Nicht anders herum. 

Susanne Saliger leitet das Projekt Die Verantwortlichen #digital.
Foto: Akademie für Ehrenamtlichkeit

Dreh- und Angelpunkt der Digitalisierung ist der Mensch 

Deshalb stehen für Susanne Saliger und Stephanie Frost die Menschen im Mittelpunkt eines solchen Vorhabens. Beide wissen, das Thema Digitalisierung ist emotional aufgeladen. Die einen verbinden mit ihr große Aufbruchsstimmung, den anderen bereitet sie Sorgen. Angst vor Überforderung, Rationalisierung und Jobverlust stehen dem Prozess häufig entgegen. Ein großer Teil der Innovationsprozesse in der freien Wirtschaft scheitert, weil es nicht gelingt, die Menschen mitzunehmen.

Magdalena Bork von Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ), die das Projekt wissenschaftlich begleitet, beobachtet in gemeinnützigen Organisationen eine große Offenheit gegenüber den Chancen der Digitalisierung, auch schon vor Corona. „Dass die Teams der teilnehmenden Organisationen bereits am Anfang des Projekts so aufgeschlossen waren und so viele Hoffnungen mit dem Prozess verbanden, das hatte ich nicht erwartet“, erzählt sie.

Dennoch kann am Anfang einer Digitalstrategie stehen, einen Raum zu schaffen, in dem Veränderung möglich wird, der Neugierde, Austausch und Bereitschaft fördert. Und in dem alle Beteiligten spüren, hier geht es nicht darum, das, was funktioniert kaputt zu machen, sondern darum, als Organisation stabiler zu werden, repetitive, zeitraubende Tätigkeiten zu erleichtern und im Gegenzug mehr Zeit für die wesentlichen Aufgaben zu gewinnen. Für gemeinnützige Organisationen bedeutet dies zudem, auch die Ehrenamtlichen von Anfang an einzubeziehen.

Wie wichtig es ist, alle Beteiligten für den Veränderungsprozess zu gewinnen, ist auch eine Erkenntnis von Magdalena Bork. „Das gelingt durch Transparenz, Offenheit und ein Ohr für die Bedürfnisse und Ängste der Beteiligten. Die Zielgruppen des Angebots oder die Ehrenamtlichen kann man zum Beispiel durch Onlinebefragungen, Interviews und Workshops einbeziehen“, sagt sie. Alle mitnehmen heißt auch, unterschiedliche Wissensstände anzuerkennen, wesentliche Schritte zu erläutern und vor allem regelmäßige Schulungen anzubieten. 

Stephanie Frost (vostel.de) ist Beraterin bei Die Verantwortlichen #digital. Foto: Akademie für Ehrenamtlichkeit

Eine Digitalstrategie entwickeln – Erste Handreichungen 

Eine Digitalstrategie ganz ohne externe Hilfe zu entwickeln, ist ein schwieriges Unterfangen, findet Stephanie Frost. Schließlich will man herausfinden, was wo wie digitalisiert werden kann. „Dafür braucht man Unterstützung von jemanden, der technisch und digital versiert ist“, sagt sie. Mit der Basisarbeit kann ein Team aber schon einmal allein loslegen. Die besteht aus einigen Fragen: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Was brauchen wir? Wer muss mit? Diese Fragen berühren Organisationen in ihrem Kern. Denn sie kreisen um die Prozesse, das Angebot und die Vision der Organisation, die Existenz- und Qualitätssicherung, die Bedürfnisse der Zielgruppen und die der Haupt- und Ehrenamtlichen.

Im Projekt Die Verantwortlichen #Digital analysieren die Organisationen den eigenen Digitalisierungsfortschritt anhand der fünf Veränderungsfelder der Digitalisierung, die auch in der Studie „Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen“ definiert wurden. Mit Hilfe eines Netzes und einer Skala von 0 bis 10 visualisieren die Teilnehmer:innen, wo sie in den Bereichen Strategie, Kultur und Arbeitsweise, Organisation und Prozesse, Technologie und Daten sowie Kommunikation stehen und wo sie hinmöchten. Danach können sie entscheiden, worauf sie sich während des Projektes fokussieren wollen, und zwei konkrete Ziele definieren.

„Explizite Ziele sind enorm wichtig für das Gelingen einer Digitalstrategie, das zeigt auch die Forschung“

sagt Magdalena Bork.

Die Fragen, was wollen wir zu erst stärken und was sind unsere Pain-Points, können helfen, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Für den Anfang macht es oft Sinn, Themenschwerpunkte zu setzen und erst einmal eine Strategie zum Beispiel fürs Fundraising, die Öffentlichkeitsarbeit oder die internen Prozesse zu entwickeln. So kann man sich in einem Bereich ausprobieren, erste Erfahrungen sammeln, lernen und auch mal etwas verwerfen, wenn es nicht funktioniert.

Sind die Ziele definiert wird es Zeit, konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Spätestens jetzt kommen externe Berater:innen ins Spiel. Doch nicht immer kann eine solche Beratung finanziert werden. Susanne Saliger rät dann, sich im Netzwerk nach Unterstützung umzuschauen. Vielleicht haben andere Vereine oder Verbände einen ähnlichen Prozess bereits durchlaufen und können beratend zur Seite stehen oder Tools empfehlen. 

Magdalena Bork (ZIVIZ im Stifterverband) begleitet das Programm „Die Verantwortlichen #digital“ wissenschaftlich. Foto: Akademie für Ehrenamtlichkeit

Corona und die Digitalisierung 

Corona hat die Digitalisierung in den allermeisten Organisationen rasant vorangetrieben. Durch die vermehrte Arbeit im Homeoffice und die Anpassung der Angebote an die aktuelle Situation sind bei vielen Menschen die Widerstände geschmolzen. Die Lernbereitschaft, die Corona überall freigesetzt hat, ist enorm. Die Herausforderung wird in vielen Vereinen und Verbänden nun sein, das Steuerrad in die Hand zu nehmen und einen Kurs zu entwickeln. Welche Tools unterstützen unsere Arbeit auch über Corona hinaus? Haben die unter Druck entwickelten digitalen Angebote auch in Zukunft Bestand? Wo wollen wir in einem, drei oder fünf Jahren stehen?

Der Spagat, den alle mit der Digitalisierung meistern müssen, scheint zu sein, dynamisch zu agieren und zugleich einen Plan zu haben. Wie das geht, können ab Winter 2020/2021 14 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen lernen. Denn dann geht das Projekt Die Verantwortlichen #Digital, das durch die Robert Bosch Stiftung und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert wird, in die zweite Runde. Die Bewerbungsphase beginnt am 1. September und läuft bis zum 16. Oktober 2020. 

Der Bundesmusikverband Chor und Orchester und der Kreisjugendring Oberhavel nehmen an der ersten Runde von Die Verantwortlichen #Digital teil. Warum sie für ihre Organisation eine Digitalstrategie entwickeln wollten, welche Ziele sie sich gesetzt und was sie in den ersten Monaten des Projektes gelernt haben, erzählen die Verantwortlichen der beiden Organisationen im 2. Teil der Serie (August 2020).

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