Liebe Violetta, die Konferenz war bereits geplant, als Corona kam. Warum habt ihr euch für eine virtuelle 3D-Präsenzumgebung entschieden?
Viele Mitwirkende hatten sich im Vorfeld agile, kreative und interaktive Formate für die Konferenz gewünscht – weg von den klassischen Konferenzformaten mit Frontalvorträgen. Ein Treffen auf Augenhöhe. Die festen Kommunikationswege, die es beim DRK aufgrund seiner Organisationsstrukturen gibt, sollten in der Konferenz aufgebrochen werden. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem sich Menschen aus verschiedenen Regionen und Hierarchieebenen, aber auch externe Stakeholder begegnen.
Als dann im März die Kontaktbeschränkungen kamen, mussten wir unsere als Präsenzveranstaltung geplante Konferenz ins Netz verlegen. Das Avatar-Format schien mir eine gute Alternative, da sich die Teilnehmenden – ähnlich wie bei Präsenztreffen – im Raum bewegen und den Raum bei den kreativen Workshops mit einbeziehen können. Und schließlich geht es bei einer Digitalkonferenz auch darum, neue Wege zu gehen, innovative Tools auszuprobieren und darüber zu diskutieren. Ich dachte mir, warum nicht gleich die Veranstaltung als Testraum nutzen? Meine Idee habe ich dann meinen Kolleg:innen vorgeschlagen.
Violetta Riedel ist Projektkoordinatorin des Modellprojekts „Wandel.Wohlfahrt.Digitalisierung – Kompetenzzentren im DRK“.
Und wie haben deine Kolleg:innen reagiert?
Ein DRK-Kollege aus dem Team gesellschaftliche Trends und Innovationen war direkt begeistert und hat mich bei den ersten Planungsschritten begleitet. Ich hatte bis dahin noch gar keine Erfahrung mit der Organisation von Online-Veranstaltungen. Wir haben zusammen die kostenlose VR-Welt von AltspaceVR ausprobiert. Gemeinsam haben wir dort verschiedene Tools getestet und geguckt, wie das funktioniert und ob das für unseren Zweck geeignet ist. Das Kernziel unserer Konferenz war ja, dass sich die Teilnehmenden zufällig begegnen können, informelle Gespräche zustande kommen und sie sich vernetzen können. Die 3D-Welt mit Avataren schien dafür bestens geeignet.
Das Thema Digitalisierung stand bei eurer Konferenz im Mittelpunkt. Inwiefern sind das Abbauen digitaler Barrieren und die Nutzung digitaler Tools wichtig für das DRK?
Die Digitalisierung bietet der Wohlfahrt viele Chancen, ist aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung. Auf der Konferenz wollten wir den Status Quo aufzeigen und gemeinsam überlegen, wo wir hinwollen. Dafür war es wichtig, alle Teilnehmenden auf den gleichen Stand zu bringen. Was gibt es eigentlich im DRK schon? Wo kann ich mich auf vorhandenes Wissen berufen? Wo können Synergien entstehen? Mit welchen Akteur:innen oder Ansprechpartner:innen sollte ich mich vernetzen?
Uns war es wichtig, dass die Teilnehmenden konkrete Tools und Arbeitsweisen kennenlernen, die in der digitalen Welt vorteilhaft sind. Sie sollten sich inspirieren lassen, aber auch eigene Ideen vorstellen und sich gemeinsam fragen, wie sie die digitale Transformation gestalten wollen, wo sich die Organisationskultur wandeln muss und wie sie digitale Teilhabe auch für vulnerable Gruppen ermöglichen können. Dabei ging es beispielsweise um Digitalisierungsstrategien für Kindertageseinrichtungen, die Zukunft der Wohlfahrt aus Sicht des DRK oder auch um den digitalen Wandel im Hausnotruf und wie er sich gestalten lässt. Die Konferenz war eine Bestandsaufnahme. Und sie hat Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt.
Für fast alle Konferenzteilnehmer:innen war die Avatar-Erfahrung Neuland. Wie hast du es geschafft, alle Teilnehmenden abzuholen und mit an Bord zu nehmen?
Wir haben uns recht schnell für den Plattform-Anbieter TriCAT entschieden. Im Gegensatz zu einigen anderen VR-Anbietern, die davon ausgehen, dass die Teilnehmenden das Programm intuitiv selbst handhaben können, werden bei TriCAT viele Schulungen angeboten. Das war uns wichtig. Und obwohl auch bei diesem Plattform-Anbieter die Immersion, also die Präsenz und das Gefühl im Avatar zu stecken, eine wichtige Rolle spielt, gibt es trotzdem noch Anwendungen und Tools, die der klassischen Online-Zusammenarbeit entsprechen. So können die Konferenzteilnehmer:innen beispielsweise miteinander chatten oder auch Umfragen starten, ohne an einem Whiteboard zusammenkommen zu müssen.
Diese gewohnten Formate erleichtern den Teilnehmenden die Zusammenarbeit. Unseren Ansprechpartner von TriCAT haben wir übrigens direkt in der virtuellen Welt getroffen. So konnten wir gleich testen, wie die Tools funktionieren, wie man sich in der Welt bewegt und eigene Inhalte hochladen kann.
Was war die größte Herausforderung bei der Organisation der Konferenz?
Es gab einen hohen bürokratischen Aufwand, beispielsweise bei datenschutzrechtlichen Fragen, die es bei einer klassischen Konferenz nicht gegeben hätte. Und für viele Menschen ist eine Avatar-Konferenz eine Innovation. Sie wissen nicht, was sie sich darunter vorstellen sollen und wo die Unterschiede zu einer Videokonferenz liegen. Das mussten wir bei jedem Schritt bedenken.
Wir mussten nicht nur die technischen Voraussetzungen schaffen, sondern auch Anleitungen und Erklärungen verschicken und allen Teilnehmer:innen im Vorfeld die Möglichkeit geben, das Tool auszuprobieren. Sie konnten ihren Avatar konfigurieren, den Raum begehen, Tutorials durchlaufen und alle Funktionen testen. Wenn Probleme auftraten, gab es einen Support, den sie kontaktieren konnten.
Die Avatare können klatschen, lächeln oder sich melden. Wie wichtig ist diese Art der Partizipation?
Super wichtig. Am Anfang war es für viele befremdlich, aber dann haben es doch einige genutzt, besonders das Klatschen. Über Mimik-Buttons konnten die Konferenzteilnehmenden auch lächeln, zufrieden oder erstaunt gucken. Aber das ist natürlich nochmal ganz anders als in der Realität, wo man intuitiv die Gesichtsausdrücke und selbst kleinste Bewegungen im Gesicht einordnen kann. Und es wurde auch kaum genutzt. Da ist also definitiv noch Luft nach oben. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, Webcams einzuschalten und das eigene Video über dem Avatar laufen zu lassen. Aber diese Funktion haben wir nicht genutzt, weil der Immersionseffekt sonst nicht mehr so stark gewesen wäre. In unserem Format war die Stimme das wichtigste Hilfsmittel. Mit ihr konnte auch viel transportiert werden.
Ihr habt die Konferenz im Nachhinein online gestellt. Die User:innen können zwei Mitarbeitende des DRK durch ihren Konferenztag begleiten. Warum habt ihr das gemacht?
Avatar-Konferenzen sind kein gängiges Tool. Aber viele Personen interessieren sich dafür und wollen wissen, wie so etwas sein könnte. Auf unserer Webseite bekommen sie jetzt einen Einblick, ohne selbst eine Veranstaltung besuchen zu müssen – zumal es bislang auch nicht sehr viele davon gibt. Für uns als DRK ist es ein großer Vorteil, dass die Inhalte präsent bleiben. Wer weiterführende Fragen zu den Workshops hat, kann sich dort nochmal vernetzen. Alle Kontakte sind hinterlegt.
Fabian ist einer der zwei Mitarbeitenden, den die User:innen begleiten können. Er sagt gleich zu Beginn, dass er auf der Konferenz Kontakte knüpfen möchte. Wie funktioniert das digital?
Generell ist es so, dass man einfach darauf los spricht und alle im Raum einen hören können. Mit seinem Nachbarn oder der Nachbarin flüstern geht also nicht. Aber je weiter die Avatare voneinander entfernt sind, desto leiser hören sie sich. Bei unserer Avatar-Konferenz haben wir verschiedene Räume und mehrere Audio-Zonen eingerichtet. Das sind durch grüne Linien markierte Bereiche. Dort können die Avatare reingehen und man hört nur das, was in diesem Audio Bereich passiert. Ein Konferenzteilnehmer hat mir im Nachhinein erzählt, dass er eine Person, die er von einer anderen Veranstaltung kannte, beim Vorbeilaufen am Namensschildchen über dem Avatar erkannt hat. Er hat die Person dann angesprochen – ganz wie im richtigen Leben. Über Berichte wie diesen habe ich mich natürlich sehr gefreut.
Das Avatar-Erlebnis war für viele neu. Wie war das Feedback der Teilnehmenden?
Sehr unterschiedlich. Einige waren nicht der Meinung, dass der Aufwand den Nutzen aufgewogen hat. Andere fanden die Bedienung nicht intuitiv genug oder ihnen fehlte die Interaktion mit anderen Konferenzteilnehmer:innen, die Gruppengespräche. Ich kann das auch verstehen. Am Ende gehört auch ein gewisses Maß an Mut dazu, die anderen
Avatare proaktiv anzusprechen und selbst aktiv zu werden.
Aber es gab auch sehr viele positive Rückmeldungen, beispielsweise, dass es nicht so schnell zu Ermüdungserscheinungen kam, wie bei Videokonferenzen. Das lag vor allem an dem Mix aus Vorträgen und interaktiven Workshops – und natürlich auch an dem Erleben der 3D-Welt. Wer selbst eine Avatar-Konferenz plant, sollte Nutzen und Aufwand vorher gut abwägen und die 3D-Avatar-Welt bei Anbietern wie AltspaceVR kostenlos testen.
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