Nach Ausrufezeichen klingt der Name der US-amerikanischen Initiative Wearecocreative: Wir lassen Dinge im Miteinander entstehen! Die Tätigkeitsbeschreibung auf der Website unterstreicht diese Haltung: “Wir helfen Menschen, die sich nicht kennen und die sich manchmal nicht einmal mögen, gemeinsam komplexe Systeme zu verändern.” Es ist die ausformulierte Anerkennung, dass gemeinsames Anpacken kein Kuschelprogramm ist, sondern eine Notwendigkeit, um das vernetzte Wirrwarr, das unsere Gesellschaft ist, zum Besseren zu verändern.
Eine Anleitung für #CollectiveImpact?
In der reichen, rundum empfehlenswerten Werkzeug-Ecke der Website liegt auch die Collaboration Innovation Roadmap. “Was für eine Erleichterung”, habe ich mir einen ersten Gedanken erlaubt. “Endlich habe ich eine Anleitung, wie das gehen kann, mit der ko-kreativen Innovation über Organisationsgrenzen hinweg.”
Spannend sind nicht nur die Anregungen der Roadmap, sondern vor allem auch, was hinter der Sehnsucht nach einer solchen Wegbeschreibung steckt. Wer gesellschaftlich wirken will, bewegt sich in einem Kontext der Unsicherheit. Je komplexer die soziale Herausforderung, je vielfältiger die Stakeholder-Landschaft, je umfassender die Veränderungsdynamiken, desto verlorener können wir uns fühlen.
Es ist naheliegend, in solchen Kontexten nach Orientierungspunkten und eindeutigen Botschaften zu suchen – so wie Wegweiser, Anleitungen, 7-Punkte-Programme.
Doch eine Anleitung für gelingende Kollaboration gibt es leider nicht – nicht einmal von Wearecocreative, die die Recherchearbeit für ihre Roadmap wie folgt zusammenfassen: “Viele Theorien und Modelle, wenige praktische Werkzeuge, um Arbeit anzuleiten, und eine MENGE Frustration.” Aber es lassen sich Muster, Unterstützungsfaktoren und Qualitäten im Miteinander erkennen, die uns helfen, auf dem gemeinsamen Weg zu bleiben.
Gute Startbedingungen für den API-Kollaborationstest
Als die #D3API sich vor drei Monaten aufmachte, um mit den Qualifizierungsakteur:innen im Themenfeld Digitalisierung und Zivilgesellschaft den Raum für Kollaboration zu testen, waren Thema und Gruppe bewusst gewählt. Es kommt in dieser Konstellation einiges zusammen, was die Komplexität handhabbar macht und den Einstieg ins Miteinander erleichtert:
1/ Die qualifizierende Unterstützung der deutschen Zivilgesellschaft ist ein wichtiges, aber überschaubares Wirkungsfeld. Die Motivation, etwas zu bewegen, ist gerade auch durch den coronabedingten Schub groß, aber es gibt keine existentielle Dringlichkeit und kaum unerwartete Störung.
2/ Die betterplace academy, D3 – so geht digital, die Digitale Nachbarschaft, Die Verantwortlichen #digital, das Haus des Stiftens, der SKala Campus und Verein 3.0 bilden eine Impulsgruppe aus sieben Programmträgern. Das ist eine Beschränkung: Es gibt noch wesentlich mehr gute, bunte, wertvolle Akteure, die das Feld prägen und voranbringen. Dass es diese Sieben wurden, lag an zwei Dingen. Zum einen an ihrer Reichweite: Sie decken die Zielgruppe in ihrer großen Diversität vom kleinen Verein bis zur sozialen Großorganisation fast vollständig ab. Zum anderen war es in den schon bestehenden Beziehungen begründet: Fünf von sieben kannten sich gut und waren schon in losem Austausch.
Gute Voraussetzungen also, um in einem überschaubaren Rahmen, den alle als den ihren begreifen und in dem sich alle mögen, gemeinsam loszulegen. Gerade haben wir Bergfest: Zwei von vier Workshops sind durchgeführt, zwei weitere kommen noch. Die Gruppe hat sich in den vergangenen Monaten gefunden und eine Reflexionsebene etabliert, die über das eigene Programm hinausgeht. Wir haben Programmangebote abgeglichen, übergreifende user journeys gezeichnet und so den Korridor des gemeinsamen Wirkens Stück für Stück konkretisiert. Und auf der Wegstrecke einiges gelernt.
Was? Na, das!
Vertrauen hilft
Ins Miteinander gehen bedeutet Unsicherheit: damit Anknüpfungspunkte entstehen können, müssen alle Beteiligten sich ein Stück weit öffnen, Informationen teilen, ihre Stärken und ihre Schwächen ins Feld führen. Das gelingt leichter, wenn die Gegenüber einschätzbar sind und wir ihnen Wohlwollen zutrauen. Uns hat die überschaubare Gruppengröße mit ihren schon geformten Beziehungen geholfen. Mit ihr war auch am Bildschirm ein lebendiger Gruppenaustausch und ein Sich-besser-Kennenlernen möglich. Die Akteure, die die Gruppe noch nicht kannten, haben sich in den respektvollen, vertrauten Ton einfinden können.
Vom Weg zum Ziel
Gut funktioniert hat für uns eine Mischung aus Ergebnisoffenheit und Zielorientierung. Zum Einstieg ging es erst einmal darum, das Tableau gemeinsam aufzuzeichnen, Bedarfe miteinander zu schärfen und ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Das Ziel war extrem vage: Etwas gemeinsam machen, damit die Wirkung im Feld besser wird. Im Weiteren sind wir der Energie der Gruppe gefolgt. Das hat uns erlaubt, einen gemeinsamen Handlungsrahmen abzustecken, auf den alle Lust haben.
Der Prozess fand dabei rein digital statt: Im Kern in zwei gemeinsamen Workshops. Vorbereitende Hausaufgaben sorgten dafür, dass alle inhaltlich und mental vorbereitet waren. Diesen Weg zu gestalten ist eine Aufgabe für sich, die in unserem Fall die D3API übernehmen konnte. Eine qualifizierte, aber nicht unmittelbar beteiligte dritte Person ist die Komfortversion. Ein bewusstes Verteilen und Leben dieser Rolle in der Kollaborationsgruppe kann eine tragfähige Alternative sein.
Der vermaledeite Alltag
Gefühlt haben wir die meiste Zeit mit Terminfindung verbracht. Alle sind eingespannt und 2,5 Stunden gemeinsame Workshopzeit zu finden ist ein Erlebnis nah am Flöhe-Hüten. Es hilft dem Gruppenprozess ungemein, eine Kollaborationsassistenz zur Seite zu haben, die den Rahmen setzt, auch mal drängelt und die Gruppe beieinander hält. Hier gilt wie bei der Facilitation: Es ist wichtig, diese Rolle bewusst zu besetzen. Die Gruppe kann sie intern verteilen und auch wechseln lassen – oder jemand von außen, z.B. ein nicht direkt eingebundenes Teammitglied aus den Organisationen, kommt unterstützend dazu.
Vom Miteinander-Denken ins Miteinander-Tun
Gerade stehen wir auf dem Sprungbrett ins neue Medium: Vom Miteinander-Denken geht es ins Miteinander-Tun. Es werden neue Herausforderungen auf unsere Gruppe warten in Phase 2, z.B. wenn Spannungen zwischen Gruppenprojekt und eigenem Programm deutlich werden, oder die Kapazitäten für die Pläne nicht überall reichen. Die API-Begleitung neigt sich dem Ende zu und die Gruppe muss ihre Facilitation und ihre Assistenz selbst übernehmen.
Vielleicht müssen wir tiefer ins Projektmanagement einsteigen, vielleicht in die Konfliktbearbeitung. So ganz planbar sind Kollaborationsprozesse nie. Aber in all der Unsicherheit steckt darin doch auch ihr besonderer Reiz.
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Die Corona-Krise baut der Zivilgesellschaft die Bühne für einen Neustart – und D3 macht sich auf, sie gemeinsam mit anderen gut zu nutzen. Mit Unterstützung von Carolin, die seit Mai bis Ende Oktober unsere Lead API ist. Neben der Vernetzung von Qualifizierungsanbietern an der Schnittstelle von sozial und digital, konzentriert sich die API-Arbeit auf zwei weitere Aktivitätsfelder: Das Erschaffen einer digitalen Konferenzlandschaft für die Zivilgesellschaft und die Stärkung der Bedingungen für Public Interest Software.
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