Advocacy, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit – all das sind große Bestandteile der Arbeit von sozialen Organisationen. Daten sind auch hier entscheidendes Überzeugungsmittel, benötigen in ihrer Erhebung, Analyse, Verarbeitung und Verbreitung jedoch viele Ressourcen. Das Potenzial zur Automatisierung solcher Prozesse ist hoch. Die International Data Corporation schätzte 2018, dass bis 2025 die globale Menge an Daten von 44 auf 175 Zettabyte anwachsen würde. Ein Zettabyte – das entspricht 1.000.000.000.000.000.000.000 Bytes. In anderen Worten: Mit einer Downloadgeschwindigkeit von 25 Mbit pro Sekunde (und damit schon ziemlich gutem Internet) würde ein User 1,8 Milliarden Jahre benötigen, um diese Daten herunterzuladen.
Die Herausforderung
Nicht alle Daten stehen öffentlich zur Verfügung. Wie viele der unendlichen Bytes über Webseiten abrufbar sind, ist unbekannt. Sicher ist, dass es viele sind. Und diese Daten lassen sich aufrufen, speichern, verarbeiten und wieder veröffentlichen. Ohne automatisierte Tools wären diese Prozesse jedoch in aller Regel Sisyphusarbeit. Sobald die letzte Version eingepflegt ist, gibt es schon wieder neue Daten – und das Spiel beginnt von vorne. Wer in der digitalen Welt am Ball (oder Stein) bleiben will, generiert Analysetools, die automatisch aktualisiert werden. Diese Tools können Prozesse der Advocacy-Arbeit, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit unterstützen und vereinfachen. Wie so ein Projekt aussehen kann, berichten Elise und Mara von Erlassjahr.de und Joni, Antonia und Dennis von CorrelAid e.V.
Über die Organisation
Derzeit sind etwa 120 Staaten des Globalen Südens kritisch verschuldet. Da es für Staaten kein geregeltes Insolvenzverfahren gibt, geraten Staaten durch Kredit- und Zinszahlungen in eine Schuldenfalle. Um dem ein Ende zu setzen, wirbt Erlassjahr e.V. in ihrer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei Politiker:innen für neue Konzepte zum Erlass von Staatsschulden. “Erlassjahr.de ist ein gemeinnütziger Verein und vorallem sind wir auch ein Bündnis von derzeit ungefähr 600 Mitträgerorganisationen und Einzelunterstützer:innen aus dem kirchlichen und entwicklungspolitischen Bereich. Wir setzen uns für faire Finanzbeziehungen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden ein. Unser Schwerpunktthema ist Staatsverschuldung und Schuldner-Gläubiger-Beziehung”, erklärt Elise von Erlassjahr.de.
Elise und Mara arbeiten bei Erlassjahr.de als Referent:innen in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Dabei geht es insbesondere um den Auftritt im Netz, der Webseite, Social Media und Veröffentlichungen. Einmal im Jahr veröffentlicht Erlassjahr.de den Schuldenreport – das ist die Veröffentlichung der Organisation, in der alle Recherchen und die Arbeit des vergangen Jahres kondensiert dargestellt werden. Teil davon ist auch eine Weltkarte, in der der Verschuldungsgrad von Ländern des Globalen Südens abgebildet wird. “Wir hatten schon lange die Idee , diese Karte auch als interaktive Version online im Netz zu präsentieren“, erzählt Mara. Zur Umsetzung fehlte bislang allerdings noch die technische Unterstützung.
Über CorrelAid
Von CorrelAid e.V. und den angebotenen pro-bono-Datenunterstützung erfuhren sie in einem Bewerbungsgespräch durch einen Praktikanten, der später Teil des Projektteams wurde. CorrelAid e.V. ist ein Netzwerk aus 1300 ehrenamtlichen Datenwissenschaftler:innen. Sozialen Organisationen, die in ihrer Arbeit auf Datenherausforderungen stoßen, stellt CorrelAid unentgeltlich ein Team von zwei bis acht Personen zur Verfügung. Unter der Betreuung der Organisation, in diesem Fall durch Mara und Elise, erarbeitet und implementiert das Team eine auf die individuelle Herausforderung zugeschnittene IT-Lösung.
Über das Team
Für das Projekt mit Erlassjahr e.V. fanden sich drei Projektmitglieder von CorrelAid e.V.: Antonia Scherz studiert im Master Volkswirtschaftslehre mit Fokus methodische Grundlagen in Berlin und arbeitet zusätzlich im Bereich KI. Dennis Hammerschmid ist Doktorand an der Universität Mannheim im Bereich Politikwissenschaften. Hinzu kam noch Joni, der als Bewerber dem Team von Erlassjahr e.V. von CorrelAid e.V. erzählte. Besonders war an dem Projektteam: Fachlich hatte es bereits ein Gefühl für wirtschaftliche Indikatoren, die für die Berechnung der Verschuldungsgrade relevant sind. Solches Fachwissen ist zwar keine Bedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, aber doch sehr praktisch: So kann die Organisation mit dem Projektteam auf Augenhöhe kommunizieren.
Die Lösung
Obwohl die Idee mit der interaktiven Weltkarte schon sehr lange bestand, fiel Erlassjahr.de die letztliche Entscheidung für ein bestimmtes Projekt am Anfang nicht leicht. Plötzlich hatten sie doch viele weitere Ideen, die jetzt mit ehrenamtlichen Datenwissenschaftler:innen umgesetzt werden könnten und diskutierten sie mit CorrelAid e.V.. “Wir sind (…) auf diese Karte gekommen, weil das eine der Sachen ist, die wir mit großer medialer Öffentlichkeit pro Jahr vorstellen können”, sagen sie heute. Die letztliche Projektentscheidung fiel auf Basis der Wirkung, die die technische Lösung für die Organisation haben würde. Wichtig ist in solchen Projekten also auch, dass die Organisation in der Ideenfindung proaktiv entscheidet, was für sie gerade wichtig ist.
Sobald die Idee feststand, machten sich die Referent:innen von Erlassjahr e.V. auch über das “wie” Gedanken. Klar war von Anfang an, dass die Karte interaktiv sein und auf der Webseite der Organisation veröffentlicht werden sollte. Als Vorlage diente die Printversion. In einem Auftakttreffen entschieden Mara und Elise zusammen mit Joni, Antonia und Dennis, wie aus der Idee ein Produkt werden könnte – und was realistisch ist. Im Anschluss wurde vier bis fünf Mal geskypt. Die engen Feedbackzyklen alle vier bis sechs Wochen machten die Kooperation leichter. Mara und Elise nahmen die Position als Projektkoordinator:innen ein und brachten die Wünsche der Teammitglieder, die für die Datenakquise zuständig sind, mit den Vorschlägen des Projektteams von CorrelAid e.V. zusammen. So blieb das ganze Team von Erlassjahr.de über das Projekt informiert.
Verbesserte Öffentlichkeitsarbeit: Das Ergebnis
“Das Projekt ist letztlich genauso geworden, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir wussten aber anfangs natürlich noch nicht, dass alles, was wir uns so gewünscht haben, technisch auch möglich ist”, berichtet Mara. “Im Endeffekt sind sogar noch Features hinzugekommen (…), die wir am Anfang noch gar nicht auf dem Schirm hatten.” Die Daten, die ursprünglich in einer Excel manuell gesammelt und visualisiert wurden, werden nun über eine Programmierschnittstelle (API) der Weltbank abgefragt und in R, einer statistischen Programmiersprache, verarbeitet und visualisiert. Dazu wird das RShiny-Framework genutzt, für das es sogar Hosting-Lösungen gibt. Die Einbettung in die Webseite erfolgte durch die IT-Abteilung der Organisation.
“Das (alte System) war (…) sehr fehleranfällig, weil wir alles per Hand gemacht hatten (…). Wir mussten ganz schön viele Korrekturschleifen drehen, um alle Fehler auszumerzen (…)”, berichten die Referent:innen. Das kostete auch viele Ressourcen: Eine Person war mit der Datenerhebung beschäftigt, während die andere ihre Zeit der Analyse widmete. Mittlerweile läuft dieser Prozess automatisiert ab. Kleinere Korrekturen können direkt von dem Team vorgenommen werden. Das war den Referent:innen wichtig, denn es gab vorher bereits einmal eine Online-Version der Weltkarte. Allerdings war diese technisch so komplex und nicht live an die Datenquelle gebunden, sodass ohne umfangreiche Programmierkenntnisse nicht einmal Adaptionen der Werte vorgenommen werden konnten. Mit R können nun auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler:innen arbeiten – die Programmiersprache ist Teil des Ausbildungsspektrums an der Universität.
Learnings
“Die drei (das Projektteam von CorrelAid e.V.) haben uns im Projekt echt gut mitgenommen. Sie haben immer wieder Entwürfe geschickt, sodass wir zu eigentlich jeder Phase wussten, was gerade der Stand ist (…). Das war echt super hilfreich!”, sagt Mara. So wächst auch innerhalb der sozialen Organisationen das Verständnis für verfügbare Technologien, die oft nicht unbekannt sind. “Ich war ganz beeindruckt von dem, was da herausgekommen ist und was das eben für ein Prozess war”, berichtet Elise.
Schlusswort
Die Zusammenarbeit endete nicht mit dem offiziellen Projektabschluss. Elise lacht: “Und als die deutsche Karte fertig war, kam plötzlich aus unserem internationalen Netzwerk die Bitte: ‘Ach, könnt ihr das nicht noch auf Englisch machen?’” Kein Problem für unser ehrenamtliches Projektteam. Was könnte es auch für ein schöneres Kompliment geben?
Ihr seid neugierig geworden? Die Erstellung der interaktiven Weltkarte für Erlassjahr.de wird auch in einer CorrelAid-Podcast-Folge beleuchtet. Außerdem berichtet CorrelAid in einem monatlichen Newsletter über die Arbeit mit Daten für den guten Zweck. Zur Anmeldung geht es hier.
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