Frontal-Veranstaltungen, bei denen man mit den vielen spannenden Teilnehmenden kaum ins Gespräch kommt oder Meetings, die stumpf eine Tagesordnung herunterleiern tun niemandem gut – und sprechen nicht für eine gute Arbeitskultur! Auch die Bearbeitung komplexer Probleme in Organisationen kann einen vor Herausforderungen stellen. Schlecht moderiert kann es leicht eskalieren und beim nächsten Mal wird wieder hinter verschlossener Tür entschieden.
Liberating Structures (~ befreiende Strukturen) befähigen euch dazu, in kurzer Zeit mit passenden Methoden in einen intensiven, zielgerichteten Austausch zu kommen – für verschiedenste Ziele und Zeitfenster gibt es Ansätze. Im folgenden Video gibt uns Ina Zukrigl-Schief einen ersten Einblick, was dahinter steckt. Ina ist Beraterin für Organisationen, die kollektive Intelligenz wagen. In ihrer Arbeit setzt sie häufig Liberating Structures ein.
Die Erfinder der Liberating Structures, Keith McCandless und Henry Lipmanowicz, waren Direktoren großer Organisationen. Um die 2000er herum fragten sie sich immer öfter, wie man unkompliziert und zufrieden, gut zusammenarbeiten kann und wie Veränderungen durch Einzelne möglich werden. Als Antwort trugen sie aus verschiedenen Kontexten Ansätze zusammen und entwickelten sie zu minimalen, leicht verständlichen Strukturen weiter. Einprägsam sollen sie sein und eine wertschätzende und ergebnisorientierte Zusammenarbeit ermöglichen.
Leitprinzipien der Liberating Structures
- Sie ermöglichen Teilhabe
- Es gibt eine klare Zielsetzung bzw. Intention
- Sie sind respektvoll gegenüber den Mitwirkenden und ihren Ansätzen
- Sie bauen Vertrauen auf
- Sie akzeptieren, dass Scheitern beim Vorwärtskommen helfen kann
- Sie gehen von der kollektiven Intelligenz von Gruppen aus – gemeinsam sind wir klüger
- Sie fördern Freiheit und Vertrauen gleichermaßen
- Sie sind lösungsorientiert & an vorhandenen Potentialen orientiert
- Sie schaffen kreative Zerstörung, um Neues zu ermöglichen
Liberating Structures brauchen keine wirkliche Moderation, ihre klare Struktur führt die Gruppen durch den Prozess. Ohne herausgehobene Expert:innen wird auf Augenhöhe miteinander gearbeitet – dieses Schöpfen aus und Vertrauen auf sich selbst ist nicht für alle leicht. Hier hilft beständige Erfahrung und damit eine sich wiederholende Arbeit mit den Strukturen, um sich im Umgang sicherer zu fühlen.
Befreiend und strukturierend
Wie es geht, müssen wir hier nicht noch einmal aufschreiben – es wäre auch viel zu viel. Auf liberatingstructures.de könnt ihr durch Klick auf die Icons in der Übersicht detaillierte Anleitungen und Erklärungen zu den einzelnen Methoden bekommen. Es gibt sogar eine App, die bei der Moderation der Methoden hilft, einen Slack-Kanal zum Austauschen und regelmäßige Immersion Workshops, um tief ins Thema einzutauchen und die Strukturen auszutesten.
Wie man als Anfänger:in aus dieser Fülle die passenden Methoden findet? Der Matchmaker ist euer Freund. Hier könnt ihr aus fünf Zielen auswählen, was ihr vorhabt – der Machmaker sagt euch, welche Methoden passen:
- Teilen oder Verbreiten (Ideen, Wissen, Erfahrungen, Herausforderungen)
- Offenlegen, Entdecken, Erschaffen, Entwickeln oder Verbessern (Möglichkeiten, Hindernisse, Lösungen, Ideen)
- Untersuchen, Erkennen, Klären, Detaillieren, Debriefen
- Helfen, Hilfe bekommen, Zusammenarbeiten
- Strategie entwerfen
- Planen
Ein paar Beispiele
Bei unserem D3-Weiterentwicklungsworkshop und vielen weiteren Anlässen haben wir schon mit Liberating Structures gearbeitet: Im folgenden findet ihr zwei unserer Lieblinge.
Conversation Café
Das Convo Café kann für verschiedene Anlässe eingesetzt werden. Um eine komplexe oder schwierige Situation besser zu verstehen, um Perspektiven aller zu hören und zu verstehen, um Missverständnissen vorzubeugen und um das konzentrierte Zuhören und Reden zu fördern.
Bei einem Convo-Café sitzt ihr in Kleingruppen von 5-7 Personen im Kreis und habt 4 Runden Zeit (ca. 40min – 1 Stunde).
- In Runde 1 (1 min pro Person) gibt jede Person nacheinander ein Eingangsstatement zu der Frage/Aufgabe/Problem. Alle anderen hören konzentriert zu.
- In Runde 2 (2 min pro Person) hat jede:r ungestört nacheinander Zeit, auf die Aussagen der ersten Runde zu reagieren, erste Gedanken, Ansätze und Einordungen mit der Gruppe zu teilen.
- In Runde 3 gibt es ein offenes Gespräch (je nach Thema 15-30 Min)
- In Runde 4 gibt es eine Abschlussrunde (3-5 min pro Person), in der alle noch einmal zusammenfassen, was sie aus der Runde mitnehmen und können ein persönliches Fazit geben.
So gelingt es, dass wirklich alle ihre Positionen einbringen und gehört werden müssen, bevor die Gruppendiskussion beginnt. Die Gruppe steuert sich selbst entlang festgelegter Regeln (die man wie bei unserem Weiterentwicklungsworkshop auf dem Boden auslegen kann – siehe Foto) und mit dem vorgebenen Zeitablauf. Zu Beginn wird eine Person festgelegt, die die Runden startet und jeweils ansagt, was als nächstes ansteht. Sie gibt auch den Redegegenstand weiter, den jeweils die Person in der Hand hält, die gerade spricht. Zudem gibt es ein Person, die über die Zeit wacht und garantiert, dass alle in ihrer Redezeit bleiben.
Die Methode basiert darauf, zuzuhören, so wenig wie möglich die Aussagen der anderen zu werten, tiefe und ehrliche Aussagen zu machen und mehr. Alles im Detail zum Nachlesen gibt es hier.
1-2-4-Alle
Bei 1-2-4-Alle geht es darum, in kurzer Zeit alle in die Findung neuer Ideen und Vorschläge einzubeziehen – und dabei gleich zu clustern. Somit werden alle zum Mitwirken eingeladen, aber die Qualität der ersten Gedanken wird in den Folgeschritten durch Verdichtungen angereichert, bevor sie der Gruppe vorgestellt werden.
- Runde 1: Jede:r notiert zunächst seine ersten Gedanken/Antworten zur Fragestellung/Problemstellung (2 min)
- Runde 2: In Zweiergruppen werden diese Ideen weiterentwickelt (2 min)
- Runde 3: Je zwei Zweiergruppen finden sich zusammen und führen Gemeinsamkeiten zusammen und stellen Unterschiede heraus.
- Runde 4: Jede Gruppe stellt eine wichtige Idee aus der Gruppe vor (dies kann wiederholt werden, so dass mehrere Ideen pro Gruppe gehört werden). (ab 5 min).
Kann eingesetzt werden, um spontane Diskussionsrunden zu neuen Themen vorzubereiten, um Innovationspotentiale zu identifizieren und konkretisieren, um stille Gruppen in selbstwirksames Diskutieren zu bringen und vieles mehr. Alle Infos zum Ablauf gibt es hier.
Fazit
Liberating Structures sind nicht einfach ein gut zusammengestellter Methodenkoffer, sondern bringen Bewegung in verkrustete Arbeits- und Verhaltensmuster. Sie schaffen mit kleinen Impulsen Raum für veränderte Zusammenarbeit. Besser wirds, je intensiver und routinierter man mit sie nutzt. Wir bleiben dran!
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz.
Weitere Ideen für Peer-to-Peer-Formate…
… findet ihr hier. Ihr wollt Struktur in gewollt unstrukturierte Meetings bringen? Dann lest doch mal in den folgenden Artikel rein.