Die Vereinsarbeit nimmt in Deutschland einen wichtigen Stellenwert ein. Mehr als 600.000 Vereine gibt es; vom Naturschutz über Sport bis hin zum Eisbaden decken sie die ganz verschiedenen Interessen der Einwohner:innen hierzulande ab.
Gleichzeitig ist unsere Gesellschaft auf bürgerschaftliches Engagement, das in Vereinen, Stiftungen, Initiativen, Netzwerken oder Verbänden organisiert wird, durchaus auch angewiesen; ja baut sogar darauf: Ohne gäbe es keine Freiwilligen Feuerwehren in ländlichen Regionen, nicht genügend Einsatzkräfte beim Technischen Hilfswerk, weniger laute Stimmen für Inklusion und Teilhabe. Und es würde langweilig werden: 90 Prozent aller Veranstaltungen in Städten und Kommunen werden nämlich durch Vereine und Engagierte initiiert und durchgeführt.
Blick in die Zukunft
Der Altersdurchschnitt in den Vorständen und die oft veralteten und starren Strukturen machen jedoch Sorgen. „Es fehlen eine moderne Infrastruktur und der Wille, die Vereinswelt neu zu denken“, sagt Nils Weichert, Leiter des Bundesnetzwerks Digitale Nachbarschaft. Die sinkende Zahl an neuen Vereinsmitgliedern, die sich besonders in den ländlichen Regionen zeigt, mache aber deutlich, dass sich etwas ändern müsse.
Die nächste Generation wird von vielen Vereinen entweder gar nicht erreicht oder in ihrem Drang nach Veränderung ausgebremst.
„Vereine stehen vor der Herausforderung, sich der Lebenswelt der nachfolgenden Generation und deren Art zu kommunizieren, anzupassen“, erzählt der Politikwissenschaftler. „Der Digitalisierungsboom der vergangenen Jahre verändert unsere Gesellschaft, ja unsere gesamte Arbeitskultur. Wir lernen, die Vorteile technischer Innovationen für uns zu nutzen und merken, dass Digitalisierung soviel mehr bietet als eine bloße Arbeitserleichterung“, weiß Nils. Speziell Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen könnten vom Digitalen profitieren, wüssten aber oft nicht genau, wie sie den Sprung schaffen in diese neue, oft noch befremdliche Online-Welt.
Niedrigschwellige Hilfe
Genau dort setzt die Digitale Nachbarschaft an, ein Kooperationsprojekt von Deutschland sicher im Netz e.V. und dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE). Sie berät und schult Vereine, deren Vorstände, Mitglieder und Multiplikator:innen bei ganz praktischen Fragen, die sich zu digitalen Themen im Engagement ergeben können. Insbesondere kleine Vereine und Organisationen bekämen hier genau die Informationen, die sie auf ihrem Weg zu einer digitalen Vereinsarbeit benötigen, verspricht Nils.
In den von der Digitalen Nachbarschaft konzipierten Basis-Seminaren können sich Vereine und Organisationen einen ersten Einblick zu Themen wie Datenschutz, Lizenzen und Gestaltung der Vereins-Website verschaffen und sich im Umgang mit digitalen Tools probieren. „Wir wollen die zivilgesellschaftlichen Organisationen zunächst zu einem sicheren und souveränen Umgang im Netz befähigen“, erklärt Nils. Er sieht es als Hauptaufgabe seiner Generation, „alle ins Boot zu holen“. „Im ersten Schritt müssen zivilgesellschaftliche Organisationen Technik verstehen.“ Dabei sei es dem Team um die Digitale Nachbarschaft wichtig, möglichst viele Vereine zu erreichen.
Angebote vor Ort
Neben der Zentrale in Berlin hat die Digitale Nachbarschaft darum bundesweit fünfzig weitere Anlaufstellen, sogenannte DiNa-Treffs, aufgebaut. Hier bieten geschulte Multiplikator:innen Beratungen an, Basis-Workshops und darauf aufbauende Fortbildungen werden an den einzelnen Kompetenzstandorten durchgeführt. „Die DiNa-Treffs sind an bereits bestehende Einrichtungen wie Freiwilligenagenturen, Volkshochschulen oder Jugendtreffs im ganzen Land angekoppelt“, erzählt Nils. „Diese Institutionen sind in der Regel lokal ganz stark verwurzelt, und kennen die Vereine und Organisationen in ihrer Umgebung.“ So kann eine individuelle Beratungsarbeit und der langfristige Austausch mit den Vereinen vor Ort gewährleistet werden. Vereine, die keinen DiNa-Standort in ihrer Nähe haben, könnten die Angebote der Digitalen Nachbarschaft aber selbstverständlich auch in Anspruch nehmen. „Wir haben mobile Teams, die Workshops und Fortbildungen direkt vor Ort durchführen können“, so Nils.
Das Angebot wird gut angenommen. Im Jahr verzeichnet die Digitale Nachbarschaft zwischen 200 und 300 Seminare, die deutschlandweit in Präsenz oder als Online-Kurse durchgeführt werden. Dabei wächst das Netzwerk mit den Anforderungen der Vereinswelt mit. Es bietet nicht mehr nur Kurse an, die den Einstieg in digitale Themen erleichtern, sondern auch solche, die tiefer greifen. „Die Vereine merken ganz schnell, dass die Digitalisierung ihnen nicht nur die Arbeit erleichtern kann, sondern außerdem ganz neue Chancen bietet, um wirkungsvoll handeln zu können“, sagt Nils. „
In den Aufbaukursen geht es oft um ganz praktische Themen wie das Initiieren von Crowdfunding-Kampagnen oder die Gestaltung digitaler Mitgliederversammlungen.“ Oder um Reichweitensteigerung. „Mit einer guten Website und dem Wissen, wie etwa der Instagram-Algorithmus funktioniert, können Vereine viel mehr Menschen erreichen. Über Social Media lassen sich auch in Pandemie-Zeiten wertvolle Kontakte knüpfen und Interessen-Netzwerke aufbauen. Und über die kann man sich viel großflächiger und wirkungsvoller organisieren“, weiß der Experte. Er sieht in der fortschreitenden Digitalisierung der Vereinswelt darum die Chance, die vorhandenen Ideen zur Verbesserung unserer Gesellschaft verbreiten zu können.
Über die Anwendungsebene hinaus
Ihm sei jedoch bewusst, dass auch das Fortbildungsangebot der Digitalen Nachbarschaft sich weiter entwickeln muss: „Eine ‚gute‘ Digitalisierung betrifft nämlich nicht nur die Technik und den Umgang mit eben dieser. Vielmehr müssen wir den Menschen in Zukunft noch stärker in den Mittelpunkt unserer von der Digitalisierung geprägten Welt rücken. Zwar werden in unseren Workshops auch jetzt schon übergeordnete Fragen der Nachhaltigkeit, Diversität und Achtsamkeit berücksichtigt. Aber das darf in Zukunft noch viel stärker zum Tragen kommen.“
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