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Einer der wesentlichen Faktoren in der beruflichen Nutzung von Open Source ist der sogenannte Netzwerkeffekt. Spätestens mit den Debatten über soziale Netzwerke wie Facebook, WhatsApp, Instagram und TikTok ist der Begriff in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Bezogen auf den Einsatz von Software bedeutet das, dass eine weite Verbreitung den Nutzen für die Anwender:innen erhöht. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist aber, dass die Abhängigkeit zu einzelnen Firmen zunimmt.
Nehmen wir die Textverarbeitung als Beispiel. Muss nur ein einfacher Text erstellt und als PDF verschickt werden (z.B. eine Rechnung), ist es egal ob dieser mit LibreOffice, StarOffice, GoogleDocs, Office 2019 oder Office365 erstellt wird. Muss aber ein Text in einem Team abgestimmt werden und es kommt bei den einzelnen Personen verschiedene Software zum Einsatz, wird eventuell das Design verändert oder bestimmte Funktionalitäten sind nicht durchgängig nutzbar. Die Lösung: Einen Standard etablieren, mit dem gearbeitet wird. Leider taucht das Problem wieder auf, sollte das Team nun mit anderen Teams zusammenarbeiten wollen, sei es innerhalb der eigenen Organisation oder darüber hinaus. Dieses Beispiel lässt sich auf beliebige Einsatzgebiete wie Multimedia, Buchhaltung, Programmierung oder ähnliches übertragen und ist euch sicherlich bereits begegnet.
Standardisierung und Normung
Ein etabliertes Mittel, um diesem Problem zu begegnen, ist Standardisierung und Normung. Ohne zu sehr auf die Details von DIN, ISO, W3C & Co. eingehen zu wollen: Es gibt einen zentralen Unterschied zwischen von offiziellen Gremien festgelegten Normen und von Unternehmen entwickelten (Industrie-)Standards unterscheiden. Dies wirkt zwar äußerst technisch, hat aber oft direkten Einfluss auf die Verwendungsmöglichkeiten von Software, insbesondere freier Software.
Während eine Webseite, die korrekt nach den Normen des W3C entwickelt wurde, mit jedem beliebigen Browser gleich dargestellt wird, kann eine Präsentation, die mit Microsoft PowerPoint erstellt wurde, in jedem Programm anders aussehen. Bei ersterem handelt es sich um eine festgelegte Norm, beim zweiten um einen Industriestandard, der auf Vorschlag von Microsoft 2008 zum ISO-Standard Office Open XML weiterentwickelt wurde. Das Problem dabei ist, dessen Spezifikation über 6.000 Seiten umfasst und von Konkurrenten beinahe unmöglich korrekt zu implementieren ist, insbesondere von Projekten um freie Software.
Hier zeigt sich auch, warum Aktivistinnen neben freier Software auch immer freie Standards fordern. Diese machen den Weg erst wirklich frei für den Einsatz alternativer Software.
Beschaffungskosten
Ein weiterer Punkt, der im Kontext von freier Software oft missverstanden wird, ist der Aspekt der Kosten. Die Entscheidung für den Einsatz freier Software im Unternehmen sollte nie eine reine Kostenersparnis sein. Das ist bei der Anschaffung ein angenehmer Nebeneffekt. Er kann aber schnell verpuffen, wenn Mitarbeitende mehr Zeit für ihre Arbeit benötigen oder zusätzliche Schulungen erforderlich werden. Außerdem ist es möglicherweise schwieriger, Personal mit entsprechenden Software-Kenntnissen zu finden oder diese anhand von Zertifizierungen einzuschätzen. Es gilt also auch bei der Nutzung von eigentlich kostenloser Software, entsprechende Budgets für Wartung, Schulung, ggf. Hosting und Support einzuplanen – sei es nun durch zusätzliche Zeit bei den IT-Verantwortlichen oder für externe Unterstützung.
Daraus lassen sich einige grundlegende Fragen vor dem Einsatz freier Software ableiten:
- In welchem Umfang muss ich mich mit anderen Organisationen/Personen in meiner Arbeit austauschen?
- Gibt es branchenübliche Software, Normen und Standards in meinem Geschäftsfeld und wie offen sind diese?
- Welche Aufgaben muss ich wie oft mit welcher Software erledigen?
- Gibt es genügend Expertise, Budget oder Zeit in meiner Organisation, um den Einsatz freier Software zu begleiten?
Es lässt sich bereits erahnen, dass der Einsatz freier Software immer einer individuellen Analyse bedarf, um konkrete Entscheidungen abzuleiten. Das hält uns aber nicht davon ab, ein paar Empfehlungen zu geben. Gerade für kleinere Teams und individuelle Anwendungen haben wir in Teil 2 der Serie bereits Alternativen wie LibreOffice, Firefox, Thunderbird & Co aufgezeigt. Sie können eine Möglichkeit sein, Aufgaben des klassischen Büroalltags zu erledigen.
Doch nicht erst seit Corona hat sich der Arbeitsalltag stark gewandelt. Arbeit ist heute sehr viel mobiler, kollaborativer und von Cloud-Diensten geprägt als noch vor zehn Jahren. Für viele populäre Cloud-Dienste gibt es inzwischen freie Alternativen, von denen wir gern einige vorstellen wollen.
„There is no Cloud: It’s just someone else’s computer“
Übersetzt ca.: „Es gibt keine Cloud, es ist einfach der Computer von jemand anderem“
Das obige Zitat macht es schon deutlich: Ein Cloud-Service hat nicht einfach eine Installationsdatei, die wir herunterladen und auf unserem lokalen Gerät installieren können. Dafür bedarf es eines Servers – und der sollte 24/7 von überall in der Welt erreichbar sein. Grundsätzlich gibt es dafür drei Möglichkeiten:
- Einen eigenen Server betreiben und Software installieren (self-hosting);
- einen betreuten Server mieten und Software installieren (managed-hosting)
- oder nur die Software mieten (Software-as-a-Service).
Grundsätzlich raten wir zum Software-as-a-Service-Ansatz. Es mag auf den ersten Blick einfach wirken, einen Netzwerkspeicher einzurichten und im internen Firmennetzwerk zur Verfügung zu stellen. Unter Windows ist ein solcher Speicher dann als „Netzlaufwerk“ eingebunden. Damit können alle Mitarbeitenden Dateien an einem zentralen Ort ablegen und bearbeiten. Abgesehen von einer Backup-Strategie, die schon hinreichend kompliziert sein kann, wird diese Lösung in Zeiten von Homeoffice und mobilem Arbeiten schnell nochmals komplizierter. Um das Laufwerk auch den Kolleg:innen außerhalb der Büroräume zur Verfügung zu stellen und dabei nicht Unbefugten Zugriff zu gewähren, braucht es ein Virtuelles Privates Netzwerk (VPN).
Ein VPN baut einen gesicherten Tunnel über das öffentliche Internet in das eigene Büronetzwerk, damit man Zugriff auf alle Netzlaufwerke hat. Das sind also schon mindestens zwei eigene Server, die es zu betreiben und aktuell zu halten gilt, nur damit Dateien ausgetauscht werden können. Schnell wird dadurch der Eigenbetrieb eher zur Sicherheitslücke oder Aufwandstreiber und kann zu viel Frust in kleineren Teams und Firmen sorgen. Insbesondere, wenn keine dedizierten IT-Expert:innen vorhanden sind, welche Zeit und Kenntnisse haben, einen oder gar mehrere Server zu warten.
Arbeiten in der Cloud
Wie bereits erwähnt, hat sich das Arbeiten in den letzten Jahren stark verändert. Gemeinsames Arbeiten findet vermehrt online in der Cloud statt. Viele Menschen kennen deshalb bereits die Google Worksuite oder Microsoft Office365 um Dateien gemeinsam zu bearbeiten, abzulegen und zu teilen. Beide Produkte bieten darüber hinaus noch viele weitere Funktionen.
Auch in der OpenSource-Welt hat sich viel getan. In den letzten Jahren hat sich NextCloud von einem reinen Cloud-Speicher (vergleichbar mit Dropbox) zu einer modular erweiterbaren Plattform entwickelt. Inzwischen kann sie mit Kalender, E-Mail, CollaboraOffice / ONLYOFFICE , NextCloud-Talk und vielen anderen Funktionen ausgestattet werden. Allerdings kann NextCloud bei der Stabilität oft noch nicht ganz mit den kommerziellen Konkurrenten mithalten. Das OpenSource Intranet HumHub kommt zwar aus einer etwas anderen Richtung, ist aber ähnlich modular erweiterbar und bringt umfangreiche Kommunikationswerkzeuge gleich mit.
Für manche Anwendungsfälle kann schon eine WordPress-Instanz, die mit Hilfe von Plugins um Funktionalitäten wie CRM oder Groupware erweitert wurde, eine Alternative darstellen. Darüber hinaus gibt es viele einzelne Cloud-Dienste, die bestimmte Funktionen zur Verfügung stellen wie beispielsweise Wekan (KanBan-Boards), moodle (Lernplattform), pretix (Ticketverkauf), LimeSurvey (Umfragen) und viele mehr.
Video, Chat und SocialMedia unter eigener Kontrolle
Videokonferenzen sind inzwischen aus dem beruflichen Alltag kaum noch wegzudenken. Auch hier gibt es mit Tools wie der Schulungsplattform BigBlueButton und der Videokonferenzplattform Jitsi zwei sehr populäre Vertreterinnen freier Software. Teilweise haben sie einen schlechten Ruf, insbesondere was Stabilität und Qualität betrifft. Dies hängt aber in vielen Fällen eher mit dem Hosting auf kleinen Servern zusammen. Es kann sich also durchaus lohnen, verschiedene Anbieter zu vergleichen.
Für alle, die auf der Suche nach einer freien Alternative zum Instant-Messenger Slack sind, könnte Mattermost einen Blick wert sein. Videokonferenz und Instant-Messenger vereint in einem Service, der auch als App verfügbar ist, bietet Wire.
Aber auch für das Management verschiedener SocialMedia-Angebote auf den großen Plattformen gibt es inzwischen OpenSource-Lösungen wie Chaskiq oder SocioBoard. Es gibt sogar alternative Social Networks auf Basis von freier Software wie zum Beispiel Diaspora und Mastodon.
Fazit
Die Möglichkeiten für freie Software auch im professionellen Umfeld sind vielfältig. Aber: Im Gegensatz zum privaten Einsatz sollte im Vorfeld immer eine sorgfältige Planung stehen. In manchen Fällen lohnt es sich aufgrund der Umstände vielleicht nicht, den Wechsel auf freie Software zu wagen (ein Beispiel aus der Videobearbeitung (engl.), in anderen Fällen kann es sich aber durchaus lohnen (Beispiel einer Kanzlei (engl.). Einer der großen Vorteile ist sicherlich, dass freie Software verhindert, sich nur an einen Anbieter binden zu müssen. Auch ein Pilotprojekt lässt sich verhältnismäßig leicht umsetzen, ohne sich an langfristige Lizenzen binden zu müssen. Gerade bei Cloud-Lösungen sollte aber dringend darauf geachtet werden, dass die damit verbundenen Risiken exponentiell steigen können, im Vergleich zur Nutzung einzelner Programme auf dem heimischen Computer. Daher sollte die Wahl von Hosting-Anbietern oder technischem Support besonders sorgfältig erfolgen.
Wir hoffen, wir konnten euch einen kleinen Einblick in die Welt freier Software geben und ein Gefühl dafür vermitteln, worauf es zu achten gilt. Selbst wenn es an der einen oder anderen Stelle vielleicht etwas kritisch klang, sind wir beide große Verfechter freier Software und setzen uns für deren Verbreitung ein. Denn auch für freie Software gilt: «Wissen ist das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt.» (vermutlich Marie von Ebner Eschenbach)
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Die Autoren
Kai Gärtner ist Diplom-Informatiker und seit vielen Jahren in verschiedenen Organisationen engagiert. Er war mehrere Jahre am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft tätig, seit 2021 arbeitet er beim IT Dienstleistungszentrum Berlin mit dem Schwerpunkt eGovernment und Fachverfahren der Berliner Verwaltung.
Christian Baer ist studierter Informatiker und arbeitet seit 2014 hauptberuflich als Softwareentwickler im E-Commerce. In dieser Zeit hat er an Frontend, Backend und Infrastruktur gearbeitet und ist dabei regelmäßig in der Open Source-Welt unterwegs. Darüber hinaus ist er passionierter Linux- und Open-Source-Nutzer.