Seit Beginn der Corona-Pandemie verbrachte Julian jeden Morgen damit, Informationen zu Fallzahlen, aktuellen Bestimmungen und anderen Corona-Kennzahlen zusammenzusuchen. Die Infos fand er zwar, doch meist waren sie unübersichtlich dargestellt. „Oft fehlte mir auch eine Einordnung. So etwas wie: Was bedeuten die Zahlen eigentlich?“, sagt er. Seinem Mitstudenten und Freund Ole ging es ähnlich. „Von der umfangreichen Zusammenstellung des Robert-Koch-Instituts war ich ein bisschen erschlagen“, sagt er. Auch anderswo fanden die beiden Wirtschaftsinformatik-Studenten nicht das, was sie suchten. Nämlich eine übersichtliche Zusammenstellung der Informationen mit Erklärungen. Und so reifte in den beiden die Idee für ihr Corona-Dashboard.
Es sollte nicht nur eine Zusammenstellung der deutschlandweiten Fallzahlen sein, sondern den Nutzer:innen alle für sie lokal relevanten Informationen zeigen. Denn diese gab es bis dahin nicht an einer Stelle zusammengefasst. An einem Wochenende trafen sich die beiden und programmierten die erste Version der Seite – seit Ende Oktober 2020 ist sie online. Zwar hatten sie zuvor schon ein paar kleinere Projekte gemeinsam programmiert, aber die Zielgruppe für das Corona-Dashboard ist die bisher größte, für die sie gearbeitet haben. Regelmäßig haben sie die Seite bereits angepasst und um weitere Informationen ergänzt.
Was gibt es dort zu sehen? Besucher:innen erfahren nach Eingabe eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt Fallzahlen, die Anzahl freier Intensivbetten in den Kliniken, die Inzidenz – aber auch, welche lokalen Beschränkungen gelten. Die Zahlen speisen sich automatisiert aus den angegebenen offiziellen Quellen. Das ermöglicht einen schnellen, einfachen Überblick für alle, die diesen für ihre Region gerade verloren haben oder diejenigen, die zu Familienbesuchen oder anderem in eine andere Region reisen wollen und sich über die dortige Pandemieentwicklung und Bestimmungen informieren wollen. Auch Ole und Julian nutzen diese Zusammenfassung, wenn sie etwa in ihre Heimat ins nordrheinwestfälische Velbert oder niedersächsische Aurich fahren wollen.
Corona-Dashboard: Einordnung und Transparenz statt Datenwirrwarr
Die Idee: Mit Einordnung und Transparenz sollen Besucher:innen auf einen Blick die Infos bekommen, die sie brauchen. Dabei gehen Julian und Ole von sich selbst aus. Sie haben keine Lust, morgens mehrere Webseiten besuchen zu müssen, um zu erfahren, welchen Einfluss die Inzidenzzahlen auf die jeweiligen regionalen Beschränkungen haben. Gleichzeitig haben sie beobachtet, dass nicht alle in ihrem Umfeld wussten, wo sie verlässliche, übersichtliche Informationen bekommen können.
Deshalb findet man auf dem Corona-Dashboard mit einem Klick auf die jeweiligen Felder eine Erklärung, wie sich diese Daten zusammensetzen und was aus ihnen abzulesen ist. „Als wir gestartet sind, war die Situation noch anders. Da gab es in jedem Bundesland sehr individuelle Regelungen“, erinnert sich Ole. Während die meisten Zahlen dank Open Data-Schnittstellen des Robert-Koch-Instituts automatisiert einlaufen, müssen die Änderungen der jeweiligen Verordnungen händisch eingegeben werden. „Aber die Zahlen bekommt man immer gut“, freut sich Julian.
Als Open Data werden Daten verstanden, die jede:r nutzen kann. Diese Nutzung kann an Bedingungen, wie etwa die Quellennennung, geknüpft sein. Das RKI ermöglicht unter einer Open Data Datenlizenz Deutschland – Namensnennung – Version 2.0 die Nutzung von Fallzahlen unkompliziert.
Das Prinzip Open Data klingt meist komplizierter, als es ist. Wie Nathan Coyle in seinem Artikel hier bei D3 und Nina Hauser in ihren Beiträgen erläutert haben, kann insbesondere der dritte Sektor von offenen Daten profitieren. Dabei muss es gar nicht um große Datenbanken mit komplizierten Zusammenstellungen gehen: Auch Excel-Tabellen und PDFs, deren Daten genutzt werden dürfen, können die entscheidenden Informationen beinhalten.
Die beiden Wirtschaftsinformatiker merken deutlich, welchen Vorteil es hat, wenn Daten offen zur Verfügung stehen. Die Automatisierung des Datenimports offizieller Daten macht für sie den Unterhalt der Seite einfacher – auch weil die Seite ein reines Freizeitprojekt ist. „Das können wir so lange weitermachen, wie das RKI die Zahlen zur Verfügung stellt“, sagt Ole. Mit ihrem Corona-Dashboard zeigen sie anschaulich, was mit Open Data möglich ist.
„Staatliche Stellen sollten solche offenen Daten viel öfter bereitstellen“, sagt Ann-Cathrin Riedel, Vorsitzende des Vereins für liberale Netzpolitik Load. Denn nur so ließen sich aus der Bevölkerung heraus Angebote wie das Corona-Dashboard entwickeln. „Es gibt da viele Ideen. Dabei geht es, und das ist ganz wichtig, nie um die Veröffentlichung von persönlichen Daten“, betont sie.
Zur Förderung des Engagements von Menschen wie Ole und Julian, die ein Informations-Problem erkennen und es mit Hilfe von Open Data lösen können, seien Open Data-Strategien der einzelnen Länder notwendig. „Es gibt viele Ideen, die wie das Corona-Dashboard entstehen, wenn die passenden Daten zur Verfügung stehen“, sagt sie. Dabei gehe es nicht immer um bundesweite Informationen wie in der Corona-Pandemie, sondern auch um ganz lokale Projekte wie etwa ein Baumkataster. Diese wurden beispielsweise in den vergangenen trockenen Sommern populär, um das gemeinschaftliche Gießen von Bäumen zu koordinieren.
Einfache Darstellung und Sprache baut Hürden ab
Ist es sinnvoll, neben den Webseiten der öffentlichen Stellen und Medienzusammenfassungen überhaupt noch zusätzliche Informationsangebote zu schaffen? „Solche Zusammenfassungswebseiten und Ideen sind super“, lobt Ann-Cathrin. Denn auf staatlichen Seiten seien Informationen oft in bürokratischer Sprache verfasst und damit nicht für alle Bürger:innen verständlich. Durch eine vereinfachte Darstellung und Formulierung würden Schwellen für Nutzer:innen genommen.
Das Corona-Dashboard ermöglicht durch seine schlichte Übersichtlichkeit auch für fachfremde Menschen einen schnellen Überblick. Dabei sei es auch kein Nachteil, dass dieses nur webbasiert und nicht als Applösung besteht. „Eine webbasierte Lösung ist für viele Nutzer niedrigschwelliger“, betont Ann-Cathrin.
Ole und Julian hatten tatsächlich keine andere Option. Denn sowohl Google als auch Apple verbieten es nicht-öffentlichen Stellen, Apps zum Thema Corona zu veröffentlichen. Da die beiden ihre Übersicht über offene Daten öffentlicher Stellen als engagierte Privatpersonen veröffentlichten, blieb für sie nur eine webbasierte Lösung. Zwar lobt Ann-Cathrin diese Strategie der Unternehmen gegen das massive Problem von Falschmeldungen. „Gleichzeitig zeigt es aber auch die krasse Marktmacht der Unternehmen. Sie können entscheiden, wer Infos bereitstellen darf und wer nicht. Darüber sollten wir als Gesellschaft dringend reden und Lösungen finden“, fordert sie.
Finanziert wird der Betrieb der Webseite übrigens bisher von Ole und Julian privat. Allerdings spenden Besucher:innen über Paypal immer wieder kleine Beträge. „Das ist schon süß, was wir da für Nachrichten bekommen“, sagt Julian. Die Rückmeldungen, die mit den Spenden eintreffen, drehen sich häufig darum, dass vielen eine solche Übersicht bisher gefehlt hatte.
Aufschwung durch Tweet
Bis Ende November 2020 hatte die Seite rund 15.000 Nutzer:innen und 45.000 Aufrufe. Deutlich mehr Aufrufe erhielten sie, als Mirko Drotschmann mit großer Reichweite über das Tool twitterte:
In den Kommentaren erhielten Ole und Julian viel Feedback zu ihrer Seite, das sie teilweise auch umsetzen. Denn auch davon leben solche Projekte: von dem Austausch zwischen Nutzenden und Erstellenden.
Wie geht es weiter?
Wie lange das Corona-Dashboard in Betrieb bleibt, wissen Ole und Julian noch nicht. Sicher ist jedoch, dass es nicht allzu viele Ergänzungen der Inhalte mehr geben wird. „Wir wollen die Seite nicht überfrachten“, sagt Ole, denn sie lebe gerade von der Übersichtlichkeit. „Aber wenn es zu den Impfungen zum Beispiel gute Daten gibt, werden wir die sicher einbinden“, so der Student.