Studienkompass: Mut und Perspektiven geben – geht das auch digital?

Aktuell 1100 Jugendliche begleitet der Studienkompass vom Abitur bis in die Uni. Es ist eine Arbeit, die vor allem persönlich und in direktem Kontakt stattfand. Bis Corona und die Kontaktbeschränkungen mit einem Mal alles änderten.

Foto eines Laptops, auf dem die Startseite des Studienkompass geöffnet ist.

Abitur gemacht, 18 Jahre alt geworden und was dann? Soll es erst eine Ausbildung sein, ein Jahr im Ausland oder lieber sofort ins Studium? Die Welt steht offen, die Möglichkeiten scheinen unendlich. Doch das ist nicht bei jedem so. Tatsächlich gehen zwar 79 von 100 Kindern aus Akademiker-Familien ins Studium. Aber nur 24 von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund schaffen es in die Welt der Universitäten und Fachhochschulen. So steht es im Nationalen Bildungsbericht 2018. Daran etwas ändern will der Studienkompass, eine private Bildungsinitiative, die von Unternehmen und Stiftungen gefördert wird.

„Perspektiven aufmachen und zeigen was möglich ist. Dafür stehen wir ganz praktisch mit Mentor:innen und mit einer umfassenden Berufs- und Studienorientierung an der Seite der Jugendlichen“, erklärt Referentin Pia Faustmann. Dazu haben sie ein dreijähriges Programm entwickelt, mit dem sie die Jugendlichen durch das Abitur und das erste Studienjahr begleiten. Aktuell sind 1100 Jugendliche dabei, 3150 Jugendliche haben diese drei Jahre bereits hinter sich.

Foto von Pia Faustmann, Referentin beim Studienkompass.

„Das vielleicht wichtigste in unserer Arbeit ist die Begegnung“, sagt Pia. Damit meint sie die Begegnung der Jugendlichen untereinander, der Jugendlichen mit den Mentor:innen und der Jugendlichen mit Trainer:innen und Expert:innen.

Sich treffen, im Café, im Park

Los geht es damit, dass Pia Faustmann und ihre Kolleg:innen an die Schulen fahren, mit den Lehrer:innen sprechen und den Schüler:innen das Programm vorstellen. Dann ist da das zweistufige Bewerbungsverfahren, das im zweiten Teil vor Ort stattfindet. Schließlich finden sich jeweils 20 Jugendlichen zu regionalen Gruppen zusammen. Jede Gruppe wird von vier ehrenamtlichen Mentor:innen begleitet.

Alle zusammen treffen sich regelmäßig, in Cafés, im Park, in Workshops, je nachdem. Sie lernen sich kennen, spielen Spiele miteinander und arbeiten immer auch inhaltlich. Da geht es um das richtige Zeitmanagement, um unterschiedliche Lerntypen- und Phasen, Prüfungssituationen, um die Abiprüfung, die Bewerbung an der Uni oder die ersten Schritte in ein selbstständiges Leben. Oder sie gehen mit den Jugendlichen in Unternehmen und schauen sich die Berufsfelder dort an. Oder sie machen Campus-Rallies, um die örtlichen Universitäten und die verschiedenen Studiengänge kennen zu lernen.

Begegnungen – bis Corona kam

„Die Mentor:innen sind Vertrauenspersonen und werden zu festen Ankerpunkten im Leben der Teilnehmenden. Sie sind da, beantworten Fragen und helfen, wenn man sich unsicher fühlt“, sagt Pia. Diese Art der persönlichen Begleitung brauchen die Jugendlichen auch, weil es in ihrer Familie niemanden gibt, der diesen Schritt an die Universität schon einmal gegangen ist. Es fehlt am praktischen Wissen. Es fehlt die Vorstellung, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und wie diese erreicht werden können.

„So viele Fragen sind in dieser Zeit zu klären. Wer bin ich? Was will ich? Was will meine Mama? Ist es dasselbe, was ich will?“, erklärt Pia. Dafür sind auch die Wochenendseminare da. Alle Jugendlichen aus einer Region treffen sich und nehmen an Workshops teil – dazu kommen Expert:innen und Trainer:innen. Einmal im Jahr gibt es auch ein bundesweites Studienkompass-Zusammentreffen. Begegnung, Begegnung, Begegnung – bis Corona kam, bis der erste Lockdown im März 2020 ihr komplettes Konzept durcheinanderbrachte. Olivia David, eine Kollegin von Pia, erinnert sich noch gut an die Aufregung.

Foto von Olivia David, Referentin beim Studienkompass.

„Wir hatten gerade die erste Stufe der Bewerbung hinter uns. Im zweiten sollten die Jugendlichen vor Ort kommen und den Bewerbungsbogen in unserem Beisein ausfüllen. Wir würden dabei alle ihre Fragen beantworten. Doch das ging nicht nun mehr. Was tun?“

Den Gruppenspirit von analog ins Digitale übertragen?

Ab ins Internet damit. Wie bei der richtigen Bewerbung legten sie ein Zeitfenster fest, innerhalb dessen die Fragen beantwortet werden sollten. Flankiert war das ganze mit einem Video, das von einem der regionalen Teams gedreht wurde. Darin bestärkten die Protagonist:innen die Bewerber:innen, versuchten ihnen die Angst und das Lampenfieber zu nehmen. Zusätzlich war ein Chatfenster geöffnet, in das die Jugendliche ihre Fragen eingeben konnten und gleich eine Antwort bekamen. „Bei der Bewerbung gibt es ja kein richtig oder falsch, wir fragen auch kein Wissen ab. Wir wollen schauen, wer unsere Hilfe am meisten benötigt und wer wirklich Lust hat, sich drei Jahre daran zu beteiligen“, sagt Olivia.

Das war der einfache Teil. Doch wie sollte man Gruppenspirit herstellen, wie eine Gemeinschaft schmieden, wie Vertrauen aufbauen, wenn man sich nur am Bildschirm sehen konnte?

Möglichst interaktiv, nie langweilig

„Uns war klar, dass wir nicht einfach nur eine Zoom-Konferenz machen können“, sagt Olivia. „Das machen die Jugendlichen dreimal mit, dann sind sie weg.“ Also überlegte das Studienkompass-Team gemeinsam mit den Mentor:innen, wie der Start für die neuen Gruppen so interessant, interaktiv und gemeinschaftlich wie möglich gestalten werden kann. Welche Tools gibt es? Welche Interaktionen lassen diese zu? Welche Dramaturgie können die ersten Gruppentreffen haben?

Mit dem Tool genially kann man kleine interaktive Aufgaben erstellen, die die Gruppe gemeinsam bearbeiten kann. Das können Fragespiele sein, was ist wahr, was ist falsch. Auf einer Landkarte kann man markieren, wo man wohnt. Mit padlet können interaktive Pinnwände erstellt werden: Fotos oder ein Video von sich selber, dazu ein paar Sätze, schon ist die Gruppenpinnwand fertig. Auf der Videotelefonie- und Konferenzplattform Zoom kann man seinen Usernamen mit einem Adjektiv versehen, von dem man glaubt, dass es zu einem passt. „Planungsvolle Pia zum Beispiel“, sagt Pia und lacht. Man kann kurze Breakoutsessions einstreuen, in denen beispielsweise jeweils zwei Menschen in einen digitalen Raum gehen können, um dort innerhalb einer Minute die meisten Gemeinsamkeiten zu finden.

„Es gibt so viele Möglichkeiten, die alten gruppendynamischen Spiele fast eins zu eins ins Digitale zu übertragen“, sagt Olivia. Zusätzlich, damit das haptische nicht zu kurz kommt, bekam jeder Jugendliche ein kleines Päckchen mit Süßigkeiten für das erste Gruppentreffen, sowie einen Brief und ein Notizbuch nach Hause geschickt.

Aus einer Tagung werden Einzeltrainings für alle

Kurz nachdem der erste Lockdown in Kraft trat, hätte auch eines ihrer zentralen Workshop-Wochenenden stattfinden sollen. Zwei Tage Programm, mit Übernachtung, 14 einzelne Workshops mit 300 Leuten und 30 Trainer:innen. „Das mussten wir absagen, stellten uns aber gleichzeitig die Frage, wie wir das ersetzen können“, sagt Olivia. Ihre Idee: Alle Teilnehmenden bekommen eine Stunde digitales Einzeltraining mit einem oder einer der Trainer:innen. „Das ersetzt natürlich nicht das Gemeinschaftserlebnis eines Wochenendes, ist aber besser, als alles einfach ausfallen zu lassen.“

Für die Vernetzung hat das Team des Studienkompass Glück, dass sie bereits eine App als Informationsplattform mit einem internen Bereich entwickelt hatten. Hier gibt es für die einzelnen Gruppen eine Chatfunktion, hier können sie per Pushnachrichten auf eine Veranstaltung hinweisen. Ein neues digitales Format, dass sie sich überlegt haben, ist die Expert:innenrunde. Zu einem Thema kommen drei, vier Expert:innen in einer Videokonferenz zusammen. Sie sprechen eine Zeitlang, im Anschluss können die Zuhörer:innen sich aufteilen und mit je eine:r der Expert:innen in einen extra Raum gehen, wo noch einmal Fragen gestellt und beantwortet werden können.

Hoffentlich bald wieder analog

„Ich bin echt stolz, was wir alles auf die Beine gestellt haben und wie wir es geschafft haben, unseren Studienkompass-Spirit ins Digitale zu übertragen“, sagt Olivia. Bestimmte Prozesse, wie das Bewerbungsverfahren, werden sie auch im Digitalen lassen. „Für den Rest, insbesondere die Gruppentreffen, freuen wir uns, wenn das hoffentlich bald wieder in echt stattfinden kann“, sagt Pia.

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