Dass Till Behnke einmal dafür bekannt sein würde, zwei namhafte Online-Plattformen mit auf den Weg gebracht zu haben, danach sah es lange so gar nicht aus. Denn sein Weg führte zunächst in den Profisport – und ins ferne Südafrika. Till spielte 15 Jahre Rugby, stand sogar für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Feld. Schließlich wagte er den Schritt ins Ausland, ordnete alles dem Sport unter. Doch drei Jahre später war Schluss. Till suchte nach etwas Neuem, ging zurück nach Deutschland und begann ein Studium. In Südafrika hat er nicht nur Sport getrieben, sondern auch ein soziales Township-Projekt unterstützt. Dieses Engagement über die Entfernung beizubehalten, wurde für ihn eigentlich unmöglich. Die Lösung für dieses Problem sollte im Digitalen liegen.
Es war die Begeisterung für das Neuland Internet, die Till schon früh und wie viele andere packte. Diese Idee des weltweit miteinander vernetzt Seins, das online plötzlich möglich war. Das habe ihn schon als jungen Menschen fasziniert. Mit dem Commodore 64, einem der ersten Heimcomputer, brachte er sich die Basics des Programmierens bei. Till glaubte damals schon an die „positiven gesellschaftlichen Potenziale“ im Netz. Und er hatte die Vision, etwas entstehen zu lassen, „was Millionen Menschen nutzen“. Was er hingegen nicht wollte, war ständig davon getrieben zu sein, immer höhere Umsätze vorweisen zu müssen. Bekannte Auswüchse des Unternehmertums, dem viele digitale Firmen gezwungen sind nachzueifern, um sich überhaupt am Markt zu halten.
Till ging einen anderen Weg – und fand in anderen internetbegeisterten Menschen Gleichgesinnte. Die Plattform betterplace.org entstand bereits 2007 und ist in zwei Richtungen gedacht: Vor allem können gemeinnützige Hilfsprojekte diese zum Spenden sammeln nutzen, weil Fundraising-Tools häufig enorm kostspielig sind. Gleichzeitig können interessierte Spender:innen internationale aber genauso kleine lokale Hilfsprojekte finden und unterstützen. Allein von 2017 bis 2020 wurden über 100 Millionen Euro an mehr als 27 000 soziale Projekte gespendet. Für Till steht die Community im Fokus: „Wir stellen nur das Tool bereit. Das Gute entsteht erst dadurch, was die Menschen damit tun, indem sie Geld an Projekte spenden, die sie mit ihrer Arbeit überzeugt haben.“
Digitale Nachbarschaftshilfe
Was es neben dem bloßen Einfall noch braucht, um ein soziales Unternehmen zu gründen? Till beschreibt den „einen besonderen Moment, der dich packt“. Die Bereitschaft, „alles reinzulegen, ohne zu wissen, dass Menschen deine Idee unterstützen werden. Ich muss bereit sein, ‚all in‘ zu gehen. Wer schwankt, der sollte es lieber lassen. Wenn du einmal angefangen hast, dann musst du es auch durchziehen“, fast Till zusammen. Mit betterplace.org ist ihm das gelungen. Aus dem operativen Geschäft hat er sich zurückgezogen, ist aber Gesellschafter der gemeinnützigen AG geblieben. Vor Jahren fühlte er noch einmal diesen speziellen Moment, gründete mit Christian Vollmann ein neues sozialen Netzwerk – eins, dass sich an die eigene Nachbarschaft richtet.
Mit nebenan.de entstand eine digitale Nachbarschaftshilfe. Über die App können sich Menschen aus der nahen Umgebung helfen und sich im echten Leben zusammentun. So gibt es etwa einen Marktplatz, auf dem die Nachbarschaft Dinge miteinander tauscht, an andere verschenkt oder kauft. In Gruppen können sie den neuesten Klatsch und Tratsch und Tipps miteinander teilen oder Veranstaltungen organisieren. „Auch hier kommt es darauf an, was die Nachbarn daraus machen: die einen handeln alte Kindersitze und teilen sich ein Auto, andere wollen Verpackungsmüll sparen oder Grünflächen vergrößern. Das alles hängt nicht von unserer Plattform ab, sondern davon, was die Menschen sich zusammen überlegen. Wir geben ihnen das passende Instrument dafür.“
Die Erfahrungen, die er mit der Gründung von betterplace.org habe sammeln können, die hätten ihm „wahnsinnige Vorteile“ gebracht. Vor allem sein Netzwerk hätte geholfen, nebenan.de auf den Weg zu bringen. „Menschen vertrauen dir schneller, weil sie wissen, dass am Ende wahrscheinlich auch was Gutes dabei rauskommt. Du kannst ein paar Etappen überspringen, machst dafür aber andere Fehler“, lacht Till. Und auch wenn beide Plattformen wie ein Marktplatz funktionieren und sich durchaus ähnlich sind, unterscheiden sie sich vor allem im Geschäftsmodell, so der Gründer. „Uns war schnell klar, dass wir viel Geld brauchen, um das deutschlandweit aufzubauen.“ Heute sind einige Finanziers an nebenan.de beteiligt, stolze 20 Millionen Euro kostete der Aufbau.
Bald zwei Millionen Menschen nutzen die Plattform – und gerade in Zeiten der Pandemie werden es täglich mehr. „Im März und April gab es fünf mal mehr Neuanmeldungen“, erzählt Till. Auch die Aktivitäten bei nebenan.de haben daher deutlich zugenommen, weil zum Beispiel junge Leute für Risikogruppen einkaufen gehen und sich einfach über die App vernetzen. Für die Älteren boten Till und das nebenan-Team außerdem einen besonderen Service an – und schalteten während des Lockdowns eine kostenlose Telefon-Hotline für Nachbarschaftshilfe. Alle Menschen ohne Smartphone oder Internetzugang konnten auf diesem Weg ein telefonisches Hilfe-Gesuch aufgeben und erhielten einen Rückruf von hilfsbereiten Nutzer:innen der Plattform.
Neuer Digitalisierungsschub
Doch auch Tills Art zu Arbeiten ist durch das Virus nochmal mehr digitalisiert worden als ohnehin schon. Selbst ein digitaler Gründer findet daran aber nicht nur positives. „Die Digitalisierung erlebt sicher einen neuen Schub – und vieles funktioniert schon wirklich gut. Ich werde auch nicht mehr jede Reise machen. Wenn der Ton und das Kamerabild stabil sind, muss ich nicht unbedingt von München nach Berlin fahren. Aber langsam reicht es mir auch. Ich muss zwischendurch auch mal mit anderen Menschen in einem Raum sitzen, um Neues zu entwickeln“, meint er. Till sehnt sich nach den Face-to-Face-Formaten, sieht aber auch, dass Home Office offenbar besser funktioniert als viele dachten. „Vielleicht sollten wir zukünftig immer mal längere Zeit von Zuhause arbeiten.“
Die Politik könne bei solchen Fragen mit Regelungen vorangehen. Till sieht die Parteien genauso in der Pflicht, das Gründen von Unternehmen zu unterstützen. Er wünscht sich eine andere Kultur und zum Beispiel einen Fonds, in den auch die öffentliche Hand einzahlt. Mit dem Silicon Valley in den USA und den großen asiatischen Märkten könne Europa nämlich längst nicht mehr mithalten. Anschubfinanzierungen gebe es zwar, doch die größeren Summen würden fehlen. Das führe auch dazu, meint Till, dass oft Firmen aus dem Ausland investieren – und gut wachsende Unternehmen irgendwann aus Deutschland weggehen. Ausbaufähig sei auch der Umgang mit der Branche der Sozialunternehmen: „Wer soziale Probleme unternehmerisch löst, sollte auch Vorzüge haben.“
Ein drittes Unternehmen zu gründen, das plant Till zurzeit nicht. Lieber will er Potenziale nutzen, die noch in nebenan.de schlummern, als woanders nochmal ganz von vorne anzufangen. Gerade im Kleinen könne man Entscheidungen treffen, die das Zusammenleben zum Positiven verändern. Und auch wenn aus der Karriere als Rugby-Spieler nicht mehr geworden ist: Seine Begeisterung für den Mannschaftssport ist geblieben. „Den Teamgeist brauche ich genauso im Büro oder wenn ich neue Projekte angehe“, sagt Till. „Der Sport hat mich gut darauf vorbereitet, das Arbeiten im Team zu organisieren. Ich vergleiche den Spirit heute noch mit diesem positiven Gefühl, das ich damals auf dem Sportplatz immer hatte. Ich brauche diese Energie, um weiterzukommen.“
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