Von der Vollbremsung in den Nebel
Langsam trauen wir uns wieder aus dem Haus. Wir machen Besorgungen jenseits von Zahnpasta und Salatgurken und klopfen mal wieder an im Büro. Aber anders als zuvor. Da sind neue Regeln und neue Gedanken im Gepäck: Oh nein, ich hab schon wieder am Mundschutz gezupft! Wie lang sind nochmal eineinhalb Meter? Ich würde Dich gern in den Arm nehmen, aber das geht leider nicht.
Für zwei Monate haben wir uns im Krisenmodus geübt, haben eine Vollbremsung hingelegt mit allem Gewohnten und sind mit Vollgas auf alternative Wege ausgewichen. Jetzt schleicht es sich an, das Neue Normal, das uns zumindest so lange begleiten wird, bis die medizinische Forschung und Versorgung das Biest COVID19 an die Leine legt.
Das Neue Normal fühlt sich an wie Nebel: Unsere Gesellschaften müssen harte Entscheidungen treffen und tragen, um Leben zu retten, vor dem Hintergrund von Ungewissheit, schwer kalkulierbaren Risiken und unklaren Langzeiteffekten. Eigentlich ist das nichts Neues: Armut, Klimakrise, Technologiefolgenabschätzung – das Navigieren im Ungewissen steckt in allen großen Fragen. Doch noch nie war es gefühlt so nah an allen Menschen dran.
Der Lockdown: Schockverarbeitung geglückt
Die vergangenen Wochen haben die Zivilgesellschaft ordentlich durchgeschüttelt. Büroalltag, Programmarbeit, politische Advocacy: Vieles war nicht mehr möglich und plötzlich alles digital.
Wie können wir wirksam sein in Zeiten, in denen verletzliche Zielgruppen schwerer erreichbar und menschlicher Kontakt als ‚zu vermeiden‘ eingestuft sind? Wie erholen sich unsere Organisationen von der Zerreissprobe des Lockdowns, und was nehmen wir mit an Erfahrung und neuen Arbeitsweisen?
Wir mussten umplanen, umdenken – und das in Windeseile. Wir mussten unsere Programme neu ausrichten, um weiter wirken zu können, unsere Organisationen stabilisieren, die strukturell und oft auch finanziell unter Druck gerieten. Und dazu kam diese Fülle an kurzfristigen, zeitlich drängenden neuen Herausforderungen, die die Gesundheitskrise unseren Gesellschaften mitgebracht hat: Wie lässt sich häuslicher Gewalt begegnen, wenn das Sicherheitsnetz entfällt, das Schule, Jugend- und Sozialarbeit bauen? Wie können Menschen ohne festen Wohnsitz ihren Lebensunterhalt sichern, wenn Straßenzeitungen keine Käufer*innen mehr finden? Wie können wir sozialer Isolation und Einsamkeit begegnen? Und wie unsere Demokratie schützen vor strategischer Radikalisierung?
Die Corona-Krise hat unsere Gesellschaft hart getroffen, und die Zivilgesellschaft war in den vergangenen Wochen mit Schockverarbeitung beschäftigt. Wir haben uns wacker geschlagen. In Windeseile wurden Arbeitsweisen und Aktivitäten umgekrempelt, Ideen entwickelt und auf die Straße gebracht. So viel Ausprobieren, das gab es das letzte Mal 2015, in der gemeinschaftlichen Anstrengung von Willkommenskultur und Integrationsarbeit für Geflüchtete. Das Wichtigste war: Wirksam bleiben.
Die große Chance ist jetzt: Können wir das, agil und systemisch?
Mit der langsamen Öffnung passiert ein Aufatmen und ein Neu-Verorten. Viele von uns fragen sich: Selbst wenn wir könnten, wollen wir zurück zum Alten? Wir haben noch nie eine solche kollektive Erfahrung der Beweglichkeit gemacht.
Jetzt haben wir die Chance, dass daraus die Fähigkeit der Agilität wird. Aus Veränderung können wir Veränderungskompetenz bauen. Lasst uns weiter lernen: Lösungsansätze testen und weiterentwickeln. Bewusst zurück gucken: Wie geht es uns im Neuen? Was hat gut geklappt, wofür müssen wir noch nachlegen und was lassen wir sein? Lasst uns Wissen, Ressourcen und Erfahrungen teilen und nicht das Rad tausendmal neu erfinden.
Anpassungsfähigkeit für Finanzierungsrahmen und Gemeinnützigkeitsrecht, eine tragfähige soziale Innovationslandschaft, wirksame Netzwerk-Lösungen statt jede NGO für sich – die Erschütterung hat den Blick frei gemacht auf systemische Fragen und bei vielen die Lust aufs Loslaufen angefacht. Den Weg können wir nur gemeinsam finden.
Darum: Lasst uns ins Miteinander kommen. Unsere Arbeit aufeinander beziehen. Piloten für Zusammenarbeit starten. Bei Förderern und Verwaltung auf Netzwerke statt Einzellösungen drängen. Und lasst uns im Bewusstsein halten, achtsam dabei zu sein. Kooperation braucht wie jede Beziehung unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung – lasst sie uns pflegen, die zarten Pflanzen, die wir säen.
Die Krise hat deutlich gemacht, wo das Bewährte anfällig war. Sie hat Risse in Betonfundamente gezogen. Die können wir kitten – oder sprengen. Die Chance ist ein Neues Normal, in dem digital und analog sinnvoll ineinander greifen, in dem wir Unsicherheit reflektieren und gemeinsam im Tun nach guten Wegen suchen, Schritt für Schritt.
Kendra Allenby, CartoonCollections.
Gefunden bei future-rcrc.com/project/cartoonathon/
Der Mut in Stiftung Bürgermut
Wir glauben an das Potential in diesem Moment und wollen es heben, gemeinsam mit Euch.
Umso mehr setzen wir auf das gemeinsame Lernen, mit dem digitalen Digital Social Summit. Mit digitalen (und bald auch wieder analogen) openTransfer Camps und vielen geteilten Ressourcen, Tipps und Gedankenanstößen auf D3 – so geht digital.
Und wir packen Energie ins Miteinander. Dazu richten wir eine Netzwerk-Schnittstelle ein. In den kommenden Monaten, bis zum Oktober – wenn der Handlungsdruck am größten und unsere Erfahrungen am intensivsten sind – unterstütze ich das Team der Stiftung Bürgermut als Lead API. API, das ist in der Programmiersprache die Abkürzung für eine Schnittstelle zwischen verschiedenen Programmen. Informationskanal und Interaktionsbrücke – das versuche ich zu sein.
Ich gehe auf die Suche nach Organisationen, die sich zusammentun, die Erfahrungen teilen, Netzwerke schaffen, Kooperationen anregen. Ich werde daran arbeiten, Übersicht im beeindruckenden Gewusel der Krisenbewältigung zu schaffen und die Einblicke mit Euch auf D3 teilen.
Darüber hinaus werde ich versuchen, gezielt Aktivitäten unterstützen, die die Zivilgesellschaft auf ihrem Weg zu mehr Miteinander und mehr Agilität stützen. Ihr macht was, wisst was, braucht was? Sagt Bescheid! carolin.silbernagl@buergermut.de
Die Corona-Krise ist eine Zerreißprobe, an der wir wachsen können und wachsen müssen. Wir wollen daran arbeitet, dass sie uns die Tür öffnet zu einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft, die mehr kann als zuvor. Die offen ist und optimistisch, veränderungsfähig, kokreativ und kollaborativ.
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In ihrer Arbeit konzentriert sich die D3 API auf drei Aktivitätsfelder: (1) Das Erschaffen einer digitalen Konferenzlandschaft für die Zivilgesellschaft, (2) die Vernetzung von Qualifizierungsanbietern an der Schnittstelle von sozial und digital und (3) die Stärkung der Bedingungen für Public Interest Software.
Was sich dahinter genau verbirgt? Einfach weiterlesen.