3, 2, 1 – verschickt: Automatisches Reporting beim Weltladen e.V.

Notwendig, gefürchtet, mit Sprengkraft geladen – das Reporting bindet in sozialen Organisationen eine große Menge an personellen und finanziellen Ressourcen. Das Gute ist: Reports lassen sich vergleichsweise einfach automatisieren. In Teil 2 unserer Data4Good-Reihe berichtet Nina, wie die Data Scientists von CorrelAid e.V. den Dachverband der Weltläden in der Automatisierung unterstützten.

Foto einer Schreibmaschine aus der ein Blatt mit der Überschrift "Update" ragt.

1 the Road ist der erste Roman von – oder vielmehr initiiert von – Ross Goodwin. Geschrieben hat das Buch nämlich eine Künstliche Intelligenz, die Goodwin auf einer Autofahrt mit Inputs aus einer Kamera, einem GPS, einem Mikrofon und einer Uhr fütterte. Das Ganze liest sich so: „It was seven minutes to ten o’clock in the morning, and it was the only good thing that had happened. ‘What is it?, the painter asked?’“ Etwas holprig geht es weiter: „The time was six minutes until ten o’clock in the morning, and the wind stood as the windows were freshly covered with boxes.“

In anderen Worten: Die Künstliche Intelligenz hat den roten Faden verloren. Trotzdem finden sich immer wieder elegante Paragraphen. Es ist kaum zu glauben, dass Technologie dazu in der Lage ist. Kunst zu schaffen, also zu malen oder zu schreiben, ist jedoch schon seit langem eine Spielwiese für neueste Technologien.

Für das Schreiben von Fließtexten braucht es allerdings nicht immer einen Roadtrip von New York nach New Orleans. Die Injektion relevanter Kennzahlen, sowie deren Berechnung und Visualisierung, und der darauf aufbauende Versand von Reports lässt sich mit wesentlich geringeren Mitteln automatisieren – und nimmt euch so bereits einiges an manueller Arbeit ab. Wie das funktionieren kann, erfahrt ihr in diesem zweiten Artikel unserer Serie zur Datennutzung im sozialen Sektor.

Die Herausforderung

Der Dachverband der Weltläden in Deutschland sammelt jährlich über eine Befragung Grunddaten der Mitglieder im wirtschaftlichen Bereich. Teilnehmende der Studie erhalten im Anschluss eine individuelle Rückmeldung, wie sie im Vergleich zu anderen Weltläden abschneiden und werden zu Verbesserungsmöglichkeiten beraten. Rund 460 individuelle Reports mussten jedes Jahr manuell erstellt und versendet werden – ein Zeitaufwand von mehreren Wochen. Als vorübergehende Lösung wurde  mit der Datenbanklösung von Microsoft Office, MS Access, und Excel eine Teilautomatisierung eingerichtet. So wurden beispielsweise Durchschnittswerte automatisch berechnet. Annegret Lueg, die hauptamtlich bei einem Kooperationspartner des Weltladen-Dachverbands arbeitet, begleitete das Projekt. “Für die Umsetzung des Projekts, um das also auf eine neue Stufe zu stellen, war Unterstützung notwendig”, sagt sie heute. Steffen Weber, der Geschäftsführer des Weltladen-Dachverbands, wendete sich deshalb 2019 an CorrelAid e.V.

Foto: Timo Wielink / Unsplash.

Über CorrelAid

Das Netzwerk von CorrelAid e.V. besteht aus 1,300 ehrenamtlichen Datenwissenschaftler:innen. Sozialen Organisationen, die in ihrer Arbeit auf Datenherausforderungen stoßen, wird ein Team von zwei bis acht Personen zur Verfügung gestellt. Unter der Betreuung der Organisation, in diesem Fall durch Annegret Lueg, Stefanie Krass und Steffen Weber, erarbeitet und implementiert das externe CorrelAid-Team eine auf die individuelle Herausforderung zugeschnittene IT-Lösung.

Über die Weltläden

Weltläden sind Orte, an denen bewusste Konsument:innen faire Produkte kaufen können. In der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung dienen sie Ziel 12, das mit seiner Forderung nach nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern für Länder des Globalen Nordens von besonderer Bedeutung ist. Neben dem Verkauf von Konsumgütern setzen sich Weltläden für faire Arbeitsbedingungen, nachhaltig-ökologische Landwirtschaft und Weltoffenheit, also die Abwesenheit von Rassismus und Diskriminierung, und kulturelle Vielfalt ein.

Insbesondere klären sie über die Grenzen des Freihandels und moderner Landwirtschaft auf und entlarven Machtgefälle, die durch internationale Konzerne und einseitige Handelsabkommen zu Lasten des Globalen Südens  entstehen. Sie arbeiten deshalb nicht nur praktisch, sondern wenden sich auch an Politiker:innen und Wirtschaftsvertreter:innen. 2017 publizierten sie einen Forderungskatalog zur Bundestagswahl, in dem sie ihre Gesellschaftsvision verdeutlichten. In Deutschland gibt es nach Schätzungen des Dachverbands 900 solcher Weltläden. 460 davon sind als Verein organisiert. Mit 1,95 Mrd. jährlichem Umsatz und 9 % Umsatzsteigerung im 2019 ist fairer und ökologischer Konsum ein Wachstumsmarkt.

Über das Team

Insgesamt arbeiteten acht Projektmitglieder von CorrelAid e.V. an der Umsetzung des Projekts. Beteiligt waren Wirtschaftswissenschaftler:innen, Soziolog:innen, Psycholog:innen und Informatiker:innen.

Foto: Gideon May von CorrelAid e.V.

„Diese Mischung war sehr gewinnbringend“, erklärt Gideon May (links) von CorrelAid e.V., der als gelernter Ökonometriker hauptberuflich im Risikocontrolling arbeitet und das Projekt leitete. Die Umfragen optimal zu gestalten oder – wie Gideon sagt – „wie man Fragen formuliert oder das Layout einer Umfrage gestaltet“, gehört nämlich nicht unbedingt in das Repertoire der meisten technischen Studiengänge. Soziolog:innen und Psycholog:innen lernen dagegen während des Studiums Survey Design (zu deutsch: Umfragengestaltung) und wenden dies, wenn sie sich später beruflich für die Forschung entscheiden, auch in der echten Welt an.

Die Lösung

Die Herangehensweise

Zunächst ist es wichtig, sich auf die Projektvision zu einigen. Das Projektteam von CorrelAid e.V. definierte deshalb mit dem Weltladen-Team zuallererst, welche Funktionalitäten für die IT-Lösung benötigt werden und welche Technologie das realisieren kann. Die Lösung selbst wurde insbesondere in zwei Hackathons in der Mainzer Zentrale des Weltladen e.V. entwickelt. Hackathons sind (analoge) Treffen, während denen Teams gemeinsam brainstormen, diskutieren und programmieren.

Annegret Lueg begleitete das Projekt für die Weltläden und hat sich mit ihrer Erfahrung im Direktmarketing und mit technischen Modellierungen aktiv in die Entwicklung eingebracht. Der große Vorteil: Durch die enge Zusammenarbeit geht in späteren (digitalen) Arbeitsphasen nichts verloren und, obwohl es technisch sehr intensive Phasen sind, lernen in Hackathons auch (R-)Neulinge wie Annegret viel Neues: „Ich persönlich habe auch viel gelernt. Die zwei Hackathons haben echt Spaß gemacht.“

Das Ergebnis

„Das Kernprodukt (…) waren die individualisierten Rückmeldungen“, erklärt Gideon. Dazu nutzte das Team R Markdown. R ist ursprüngliche eine statistische Programmiersprache. Mit R Markdown lassen sich einzelne R-Codebausteine ausführen und die Ergebnisse direkt anzeigen. Daneben ermöglicht es die Formatierung von Text, Tabellen und Grafiken sowie den Export zu PDF, Word oder HTML. Die finale Datei ist unbegrenzt reproduzierbar und aktualisierte Datensätze können – solange sich das Format der Datei nicht ändert – eingepflegt werden, um neueste Ergebnisse zu erhalten. Um diese Technologie für das Weltladen-Projekt nutzen zu können, wird die CSV-Datei der Weltläden-Umfrage geladen, bereinigt und Werte anschließend injiziert, ausgewertet und/oder visualisiert. Am Ende entsteht so pro Weltladen ein individueller Report.

Learnings

Es ist zwar nicht notwendig, aber doch hilfreich, wenn eine Person aus der sozialen Organisation die Motivation und Zeit hat sich in das neue, technische Tool einzufinden. Mit Annegret von den Weltläden hatte das Projektteam von CorrelAid e.V. eine Frau an ihrer Seite, die bereits wusste, wie Technik funktioniert und sie diese für ihre soziale Organisation nutzen kann. Trotzdem hat die Beratung von CorrelAid nur so gut geklappt, weil Annegret bereit war etwas Neues zu lernen – nämlich R. Damit ist das Tool seit der Implementation in guten Händen und nachhaltig. Kleinere Änderungen und Korrekturen kann Weltladen e.V. selbst vornehmen.

Schlusswort

Annegret fasst das Endergebnis treffender zusammen, als wir von CorrelAid e.V. es jemals könnten: „Es war (…) echt wunderbar! Wir hatten das vorher wirklich sehr händisch gemacht und ich habe das über Microsoft Access und Excel  zusammen gefriemelt. Das hat vorher Tage gedauert und durch diesen Code funktioniert das  mittlerweile in zwei Stunden! Das rattert durch und ich habe 500 Berichte – ein enormer Zuwachs!“

Ihr seid neugierig geworden? Die Automatisierung des Reportings beim Weltladen e.V. wird auch in einer CorrelAid-Podcast-Folge beleuchtet. Außerdem berichtet CorrelAid in einem monatlichen Newsletter über die Arbeit mit Daten für den guten Zweck. Zur Anmeldung geht es hier.

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